"Es muss doch Verantwortliche dafür geben!"

Stand: 05.04.2016, 15:42 Uhr

Gabi Müller ist eine der Mütter, die beim Loveparade-Unglück in Duisburg ihr Kind verlor. Sie hatte sich von einem Prozess Gerechtigkeit für ihren getöteten Sohn erhofft. Das Verfahren wurde abgesagt – für die Mutter ein Schock.

Ihr Sohn Christian war gerade 25 Jahre alt geworden, nach einer Restaurant-Fachlehre und dem Fachabitur wollte er ein Studium beginnen. Doch er starb in der Massenpanik der Loveparade am 24. Juli 2010. Auf ihrer Facebook-Seite postet Gabi Müller aus Hamm hauptsächlich Fotos ihres Sohns, schöne Blumen von seinem Grab. Sie wäre ganz sicher zum Gerichtsprozess gegangen, wenn er denn gestartet wäre - das hatte die 58-Jährige in einem Interview auf WDR.de schon im Oktober 2014 gesagt.

WDR.de: Frau Müller, wie haben Sie heute von der Entscheidung, dass der Prozess nicht stattfinden wird, erfahren?

Gabi Müller: Mein Mann rief mich ganz früh von der Arbeit aus an, er hatte das in den Nachrichten gehört und war total am Boden zerstört. Ich dachte erst, vielleicht hätte er sich verhört, habe es aber dann selber im Internet gelesen.

WDR.de: Was dachten Sie?

Müller: Das war wie ein Keulenschlag. Das muss man erst mal einsortieren, da fehlen einem komplett die Worte. Ich kann kaum beschreiben, was ich fühle: Einerseits könnte ich weinen, aber da ist auch diese riesige Wut. Für mich ist das unbegreiflich: Da ermittelt die Staatsanwaltschaft jahrelang, und dann kommt so etwas dabei heraus? Wenn eine solche Tragödie passiert, muss es doch Verantwortliche dafür geben! Die können jetzt ihr Leben so weiter leben, wie bisher, und wir stehen vor einem Trümmerhaufen.

WDR.de: In unserem ersten Interview im Oktober 2014 hatten Sie schon die Vermutung geäußert, dass die Ermittler versuchen, möglichst viel Zeit zu gewinnen, um die Opfer zu zermürben, sodass am Ende allen egal ist, ob die Schuldigen noch verurteilt werden oder nicht. Sehen Sie sich jetzt bestätigt?

Müller: Absolut. Mir kam es schon lange merkwürdig vor, dass sich der Prozessbeginn ständig mit anderen Argumenten verzögert. Jetzt reiten die auf dem Gutachten herum – ja was soll ich denn davon halten? Bei den Ermittlungen sind mir viel zu viele Fehler passiert. Diese Verzögerung war meiner Meinung nach von Anfang an geplant. Außerdem wäre es richtig gewesen, wenn die Behörden eines anderen Bundeslandes die Ermittlungen geführt hätte, nicht die Duisburger selbst und die paar "Alibi"-Ermittler aus Köln. 

WDR.de: Was haben Sie jetzt vor?

Müller: Ich habe heute morgen sofort die Anwaltskanzlei angerufen, die uns vertritt. Die wollen uns auf dem Laufenden halten. Bisher haben aber immer sowohl unsere Anwälte als auch wir Betroffenen alle Neuigkeiten erst aus der Presse erfahren. Uns hat niemand je vorab über irgendetwas informiert. Sicher ist: Ich werde das auf keinen Fall so hinnehmen.

Das habe ich meinem Kind versprochen: Dass ihm wenigstens Gerechtigkeit widerfährt, dass die Verantwortlichen schuldig gesprochen werden. Bisher ist das das einzige Versprechen meinem Sohn gegenüber, das ich nicht halten konnte. Alles, was ich Christian im Leben versprochen hatte, habe ich immer gehalten.  

WDR.de: Vor zwei Jahren hatten Sie eindrucksvoll beschrieben, wie treu die Freunde Ihres Sohnes noch den Kontakt zu Ihnen und Ihrem Mann halten und welchen Trost das für Sie bedeutet. Ist das immer noch so?

Müller: Das hat sich nicht verändert. Christian hätte letzte Woche 31. Geburtstag gehabt, und alle seine Freunde waren da, sogar aus München. Das zeigt, was für eine riesige Lücke er auch bei seinen Freunden hinterlassen hat. Sie beziehen uns immer mit ein – für mich ist das ein ganz großer Schatz.

Wieviel Charakter diese jungen Menschen haben! Wenn ich mir dagegen diese Bande der Loveparade-Verantwortlichen ansehe: Für mich hat da kein Einziger Charakter. Wer wirklich Stärke hat, steht zu seinen Fehlern – egal, wie schlimm sie sind. Das hat mein Kind auch immer getan.

Das Interview führte Nina Magoley.