Interview mit Filmregisseur Maus
"Der Kuaför aus der Keupstraße"
Stand: 27.01.2016, 06:00 Uhr
Sieben Jahre lang wurden die Bewohner der Kölner Keupstraße verdächtigt, die Bombe gelegt zu haben, die in Wahrheit auf das Konto des rechtsextremen NSU ging. Durch welche Hölle die Opfer in dieser Zeit gingen, zeigt ein bewegender Kinofilm, der am Mittwoch (27.01.2016) erstmals gezeigt wird.
Für die Polizei schien von Anfang an kein Zweifel zu bestehen: Die Bombe, die am 9. Juni 2004 vor einem Friseurgeschäft in der Kölner Keupstraße explodierte, wurde als blutiger Höhepunkt einer Fehde krimineller türkischer Banden gedeutet. Erst, als Ermittler 2011 das rechtsextreme Trio des sogenannten "Nationalsozialistischer Untergrund" entdeckten, wurde klar, wo die wirklichen Täter zu suchen waren - und dass der Anschlag in einer Reihe brutaler Morde mit rechtsextremistischem Hintergrund stand. In seinem Film "Der Kuaför aus der Keupstraße" lässt Regisseur Andreas Maus die Opfer dieses Anschlags zu Wort kommen und bringt eine Fülle bedrückender Details der Ermittlungen ans Licht.
WDR.de: Wieviele Seiten Ermittlungsakten haben Sie und Ihr Co-Autor Maik Baumgärtner durchforstet?
Andreas Maus: Viele, um die 1.000 Seiten waren das: Verhörprotokolle, Aktenvermerke, Protokolle des NSU-Untersuchungsausschusses. Im Sommer 2014 konnten wir dann anfangen, auf der Keupstraße zu drehen.
Andreas Maus
... , 1964 in Wuppertal geboren, war zunächst Regisseur beim Theater Kölner Ensemble. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er als freier Journalist für Fernsehen, Hörfunk und Print, regelmäßig auch für das ARD-Magazin Monitor. Sein erster Kinofilm "Ballada" (2009) ist ein Dokument russischer Zeitgeschichte entlang der Automarke Lada.
WDR.de: Der Film ist vor allem deshalb tief berührend, weil die Betroffenen sehr offen vor der Kamera sprechen, auch über ihre Gefühle. Waren alle von Anfang an bereit für das Filmprojekt?
Maus: Im Gegenteil: Anfangs war es schwierig. Unter den Bewohnern der Keupstraße herrschte Enttäuschung - darüber, dass nach der Entdeckung des NSU das Thema Keupstraße in der Öffentlichkeit längst wieder in Vergessenheit geraten war. Ich habe dann erklärt, dass ich einen Film machen möchte, in dem die Betroffenen wirklich Raum bekommen, davon zu erzählen, was sie erlebt haben – besonders mit der Polizei. Als sie dann einmal zugesagt hatten, hat sich eine unglaubliche Offenheit entwickelt.
WDR.de: Die Szenen aus den Polizeiverhören, die die Opfer sieben Jahre lang immer wieder über sich ergehen lassen mussten, sind sehr bedrückend. Sie zeigen, wie massiv die Polizei besonders die beiden Brüder aus dem Friseursalon unter Druck setzte, welch haarsträubende Unterstellungen ihnen gemacht wurden.
Özcan Yildirim, einer der beiden Friseur-Brüder
Maus: Aus den Schilderungen wird deutlich, wie die Polizei über Jahre immer wieder versucht hat, die Familienmitglieder, die ganze Community gegeneinander auszuspielen – mit Überwachung, mit verdeckten Ermittlern. Das hat die Menschen extrem traumatisiert. Dazu muss man auch wissen, dass viele der türkischen Menschen in Deutschland eigentlich ein sehr hohes Grundvertrauen haben in die deutsche Polizei – im Unterschied zu dem, was sie möglicherweise in der Türkei erlebt haben, wo die Polizei korrupt ist, Leute einfach scheinbar ohne Grund festnimmt. Dieses Vertrauen in die Polizei ist total erschüttert worden, völlig unerwartet. An dem Tag, als die Bombe explodierte, brach der Boden unter ihrer Existenz weg.
WDR.de: Die beiden Brüder Özcan und Hasan Yildirim aus dem Friseursalon, vor dem die Bombe explodierte, berichten sehr berührend von schlaflosen Nächten, vielen geweinten Tränen und der Demütigung, mit der sie über Jahre lebten. Sie sprechen dabei grundsätzlich türkisch - mit deutschen Untertiteln. Warum?
Maus: Weil sie kaum Deutsch sprechen. Das hängt damit zusammen, dass die beiden erst Mitte der 1990er Jahre nach Deutschland gekommen sind und hier sofort angefangen haben, zu arbeiten. Sie haben den Friseursalon eröffnet und bis heute stehen sie wirklich von morgens 9 Uhr bis abends 21 Uhr im Laden, einschließlich Samstags. Da ist ihnen kaum Zeit geblieben, sich hier sprachlich zu integrieren.
WDR.de: In den Szenen, die sie in den Verhören mit der Polizei zeigen, werden die beiden Brüder und ihre Ehefrauen von Schauspielern gespielt.
Schauspielerin Aylin Esener als Ehefrau im Polizeiverhör
Maus: Während wir anfangs das Material, die Dokumente und Verhörprotokolle durchforsteten, entstand für uns so eine Art "Aktensound": Die Sprache, in der die Polizisten ihre Fragen formuliert haben, die Haltung, die sie damit zum Ausdruck brachten. Diese Sprache erzählt sehr viel von der Anatomie der Ermittlungen, in der die Befragten systematisch in die Ecke gedrängt werden sollten – was sich später als völlig falsche Richtung herausstellte. Da war uns klar, dass das ein Element des Films sein würde. Gleichzeitig war auch klar, dass wir nicht die realen Opfer von damals ihre eigenen Verhöre nachsprechen lassen könnten.
WDR.de: Zu sehen ist auch die Szene, wie Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich des Solidaritätsfests "Birlikte" im Sommer 2014, zehn Jahre nach dem Anschlag, den Friseursalon besucht. Als Politiker und Reporter wieder weg sind, sitzt Özcan Yildirim weinend auf einem Stuhl. Wie haben Sie solche Momente hinter der Kamera erlebt?
Maus: Ich hatte mit einer solchen Reaktion gar nicht gerechnet. Das hat mir gezeigt, wie tief dieses Trauma sitzt, wie sehr die beiden auch noch nach zehn Jahren mit dieser Erschütterung ringen. Wie sehr sie versuchen, Haltung zu bewahren, irgendwie damit im Alltag zurecht zu kommen. Dieser Moment zeigte auch, wie allein sie doch damit sind: Kurz zuvor noch hatte es einen riesen Trubel gegeben, sozusagen zu ihrer Würdigung, doch mit ihrem Schmerz und der Demütigung, die sie über Jahre erlebt haben, sind sie eigentlich ganz allein, das kann ihnen keiner abnehmen.
WDR.de: Zwischen die Erinnerungen der Opfer sind im Film auch Ausschnitte aus dem Protokoll des NSU-Untersuchungsausschusses geschnitten: Ein Ermittler gesteht dort, dass er kaum Kenntnisse über die rechtsetxreme Szene hatte – obwohl die Opfer immer wieder ihren Verdacht in diese Richtung geäußert hatten. Welche Hoffnung verbinden die Betroffenen mit dem NSU-Untersuchungsausschuss?
Maus: Ich glaube, sie erwarten nicht mehr viel - weder vom Untersuchungsausschuss noch vom NSU-Prozess in München. Sie erwarten keine Wahrheitsfindung und auch keine Gerechtigkeit, die für sie damit einher kommen könnte. Der Münchner Prozess ist für sie eher eine "Beate-Zschäpe-Show", die die Opfer eigentlich ein zweites Mal demütigt – in der Form, wie Zschäpe den Prozess hintertreibt und wie sie taktiert, schweigt, Aussagen vorlesen lässt. Nach meinem Eindruck halten sich die Menschen in der Keupstraße Augen und Ohren zu, weil sie sich das, was da in München passiert, nicht mitansehen wollen. Was den Untersuchungsausschuss angeht, merken viele, dass da gar nicht die Mittel bestehen, um so viel Druck auf die Polizeibehörden auszuüben, dass wirklich alles auf den Tisch kommen würde.
WDR.de: Der Film endet mit der Nachricht über die Entdeckung des NSU – womit plötzlich klar war, dass auch das Keupstraßen-Attentat auf das Konto Rechtsextremer ging und die Polizei sieben Jahre lang die Falschen verdächtigt hatte. Wie haben die Opfer diese Nachricht damals aufgenommen?
Das Leben im Friseursalon der Yildirims geht weiter
Maus: Irgendwo in der Mitte des Films erzählt Özcan Yildirim, wie extrem groß die Erleichterung war. Es sei wie eine Befreiung gewesen, sagt er, zu spüren, dass sie Recht bekommen würden, und dass die ganze Welt plötzlich sehen kann, dass sie nicht gelogen oder betrogen haben. Dass sie dann aber auch gemerkt haben, dass das ganze Erlebte dadurch nicht ausgelöscht oder vergessen gemacht werden kann, dass dieser Schmerz tatsächlich Teil ihrer Persönlichkeit geworden ist. Dazu kommt auch die Angst, dass sie vielleicht wieder in den Fokus irgendwelcher rechter Gruppen kommen könnten, weil sie jetzt prominent sind. All das beschreiben sie als Gefühle, die bei ihnen permanent vorhanden sind und miteinander streiten.
WDR.de: Welche Erwartungen haben die Keupstraßenbewohner noch?
Maus: Die beiden Friseure hatten überlegt, zurück in die Türkei zu gehen, andere Bewohner der Straße auch. Die Erwartung, dass von den Behörden oder Gerichten noch etwas kommt, scheint mir nicht mehr vorhanden. Was gut ist – und das konnten wir in den Jahren, in denen wir die Keupstraße erlebt haben, selber spüren: Die Bewohner der Straße haben angefangen, auch ausgelöst durch den Film, sich nicht mehr zu verstecken. Sie haben gemerkt, dass es auch für sie als Gemeinschaft wichtig ist, darüber zu reden zu diskutieren, wo sie stehen und wie die Reaktionen der Umwelt zu bewerten sind. Spürbar ist, dass die Bewohner der Straße langsam zu der Erkenntnis gekommen sind, dass sie die Sache selber in die Hand nehmen müssen. Sie haben keine Erwartungen mehr, dass Hilfe von außen kommt, aber sie sind dabei, sich selber aus dieser Haltung herauszubewegen, die Opfer zu sein, die der Dinge harren und darauf warten, dass sie jemand erlöst.
Das Interview führte Nina Magoley.