Blick in den Teilchenbeschleuniger Cern

Stichtag

30. März 2010 - Urknall-Simulation am CERN

Am Morgen des 30. März 2010 fiebern die Forscher am CERN, der europäischen Organisation für Kernforschung, dem Test der weltweit größten Experimentiermaschine entgegen. Elementarteilchen sollen mit bisher unerreichter Energie aufeinanderprallen und in einem Energieblitz zerstrahlen. "Jeden Moment kann es passieren", erklärt CERN-Wissenschaftlerin Fabiola Gianotti vor den Monitoren im Kontrollraum. Oder auch nicht, was ein Fiasko wäre. Denn die ganze Welt schaut an diesem Dienstag nach Genf.

Kurz vor 13 Uhr schließlich Jubel und Erleichterung. Es hat geklappt. Beethovens "Freude, schöner Götterfunken" ertönt. Bewusst gewählt von den Physikern, haben sie doch fast den göttlichen Funken der Schöpfung gezündet. "Es bildet sich für einen kurzen Augenblick eine Art Feuerball", erklärt der ehemalige CERN-Chef Herwig Schopper das bahnbrechende Experiment. "Und im nächsten Augenblick wird aus diesem Feuerball neue Materie erzeugt." Ein Mini-Urknall, wie er vermutlich am Anfang des Kosmos gestanden hat, erzeugt im Labor.

Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg

In einem besonderen und teuren Labor, dem "Large Hadron Collider (LHC)": Zwei 27 Kilometer lange Vakuumröhren in 100 Meter Tiefe ermöglichen nach 20 Jahren Planung und Entwicklung das viel beachtete Experiment. Rund drei Milliarden Euro hat die Weltmaschine an der französisch-schweizerischen Grenze bis dahin gekostet. Bezahlbar nur, weil sich 22 europäische Staaten die Kosten teilen und beinahe jedes Land der Welt mit der Forschungsanstalt kooperiert.

"Das CERN bringt auf wissenschaftlicher Ebene alle Kulturen, alle Nationen unter einen Hut", schwärmt CERN-Direktor Rolf-Dieter Heuer. Eine europäische Physik, die friedlich und freundschaftlich allein der Wissenschaft dient. So wollten es 1954 die Gründer des CERN, dessen Name sich aus dem französischen Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire ableitet. Eine neue europäische Hochburg für Elementarteilchenphysik als Kontrapunkt zur Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten und der Atombombe.

Seitdem arbeiten in Genf Russen, Chinesen, Amerikaner, Palästinenser und Israelis gemeinsam, verständigen sich in einer Sprache - die allerdings kaum ein Außenstehender versteht. Die Teilchen-Physiker haben zwischen dem Genfer See und dem französischen Jura ihre eigene Welt, sie eint die Begeisterung für ihre Sache."Der Mensch möchte verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält, er möchte verstehen, wo er herkommt, und ich glaube, das unterscheidet den Menschen von allen anderen Kreaturen", erklärt Heuer den Forscherdrang am CERN.

Was die Welt im Inneren zusammen hält

Um den Ursprung des Universums näher zu kommen, zertrümmern die rund 2.400 CERN-Angestellten mit aller Macht Materie, Atomkerne und Elementarteilchen. Bürohaushohe Detektoren zeichnen die Experimente auf, Tausende Physiker aus aller Welt werten die in verschiedenen Versuchen gesammelten Informationen aus. Immer auf der Suche nach der noch unbekannten Dunklen Materie und Dunklen Energie. Bislang sind lediglich fünf Prozent der kosmischen Materie bekannt. "Es wird höchste Zeit, dass wir in das dunkle Universum kommen, das ist natürlich die Hoffnung", sagt Heuer.

Im Juli 2012 jubeln die Wissenschaftler des CERN erneut: Sie können das sogenannte Higgs-Boson nachweisen, das fehlende Element im Standardmodell der Elementarteilchenphysik. Peter Higgs hatte bereits 1964 mit dem nach ihm benannten Teilchen theoretisch beschrieben, wie Elementarteilchen zu ihrer Masse kommen. Doch erst der LHC kann Teilchen mit dermaßen hoher Energie beschleunigen, dass das Higgs-Boson sichtbar wird. Dank der Ergebnisse des riesigen Teilchenbeschleunigers erhält Peter Higgs 2013 den Nobelpreis für Physik.

Stand: 30.03.2015

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