Stichtag

09. November 1991: Erste kontrollierte Kernfusion gelungen

Als Alan Gibson den Kontrollraum betritt, herrscht dort große Aufregung. 150 Forscher aus aller Welt umdrängen den Chef des Kernfusionszentrums Culham und seine dreißigköpfige Crew. Über Monitore beobachten sie gespannt, wie sich die tonnenschweren Stahltüren zu der vier Stockwerke hohen und zwei Milliarden Mark teuren Versuchsapparatur schließen. Hinter dicken Betonwänden saugen Vakuumpumpen die letzte Luft aus der Brennkammer. Dann ein Knopfdruck und Sekunden später beweisen die Messinstrumente zweifelsfrei: An diesem 9. November 1991 ist am Joint European Torus (JET) im englischen Oxfordshire ein Traum der Wissenschaft wahr geworden. Zum ersten Mal ist es gelungen, ein nukleares Feuer wie auf der Sonne zu zünden, zu kontrollieren und bei dieser nur zwei Sekunden dauernden Kernfusion eine Leistung von zwei Megawatt zu erzeugen.Allein für diesen kleinen Schritt auf dem Weg zum Menschheitstraum einer unerschöpflichen Energiequelle waren über 50 Jahre Vorarbeit nötig. 1938 gelingt Otto Hahn die Spaltung schwerer Atomkerne und damit erstmals die Freisetzung von Kernenergie. Seine Arbeit mündet in die Entwicklung der Atombombe und bald darauf in den Bau der auf einer Kernfusion basierenden Wasserstoffbombe - einer Waffe mit grenzenlosem Vernichtungspotential. In den folgenden Jahrzehnten versuchen sich Atomphysiker weltweit an der Verwandlung der thermonuklearen Höllenmaschine in eine friedliche Energiefabrik. Doch bis zu Gibsons Durchbruch im JET-Reaktor schafft es niemand, ein Sonnenfeuer stetig kontrolliert brennen statt als Bombe explodieren zu lassen.

Auch das gelungene Experiment von Culham ist aber nicht viel mehr als ein theoretischer Fortschritt. Zur Produktion jener zwei Megawatt Strom für zwei Sekunden muss ein Vielfaches an Energie zugeführt werden. So macht sich JET-Chef Alan Gibson schon 1991 keine Illusionen darüber, dass bis zum Bau eines echten Fusionskraftwerks vermutlich noch weitere 50 Jahre vergehen werden. Die Planung neuer Experimentieranlagen überfordert jedoch bei weitem jedes nationale oder europäische Forschungsbudget. Nach langem Hickhack beschließen die Industriestaaten deshalb im Mai 2006 endlich auf globaler Ebene ein Nachfolgeprojekt zum europäischen JET. Im französischen Forschungszentrum Cadarache wird bald der "International Thermonuclear Experimental Reactor " entstehen - abgekürzt ITER. Auf Latein bedeutet das "der Weg" - der Weg zum Fusionskraftwerk der Zukunft.

Stand: 09.11.06