In Agatha Christies Krimi "Tod auf dem Nil" sieht Ägypten noch so aus wie seit der Pharaonenzeit. Auf seiner Kreuzfahrt von Assuan stromaufwärts reist Detektiv Hercule Poirot 1937 durch atemberaubende Granitschluchten, vorbei an nubischen Dörfern und Jahrtausende alten Tempelanlagen. Eine antike Welt, die dem Untergang geweiht ist. 30 Jahre später wird sie größtenteils in den aufgestauten Fluten des Nils verschwinden.
Bereits 1902 hatten die Briten südwestlich von Assuan einen Staudamm errichtet. Nach den jährlichen Hochwassern sollte er folgende Dürrephasen ausgleichen und Hungersnöte unter der rasch wachsenden Bevölkerung an den Ufern des Nils verhindern. Doch der Damm erweist sich als zu klein, um den längsten Fluss der Erde ausreichend regulieren zu können.
Sowjets übernehmen die Bauausführung
Der Ingenieur Adrian Daninos legt 1948 Ägyptens König Faruq Pläne für einen riesigen Staudamm oberhalb von Assuan vor. Da Faruq kein Interesse zeigt, wendet sich Daninos an Militärs um den Offizier Gamal Abdel Nasser, einen der führenden oppositionellen Köpfe. Vier Jahre später stürzt Nasser König Faruq und greift sofort Daninos' monströse Damm-Pläne auf. 1956 ist er fast am Ziel: Deutsche Ingenieure haben das Projekt durchgerechnet, die Finanzierung steht. Doch dann streichen die USA ihre zugesagten Kredite aus Verärgerung über Nassers Wirtschaftsverbindungen mit dem Ostblock.
Auf der Suche nach Geldquellen verstaatlicht Nasser den Sueskanal und löst damit einen Krieg mit Großbritannien und Frankreich aus. Als die Vereinten Nationen Ägyptens ehemalige Kolonialmächte zum Rückzug zwingen, lässt sich Nasser von der arabischen Welt als Sieger feiern. Mit Hilfe Moskaus beginnt er die Vorbereitung für den Bau des Assuan-Staudamms. 140.000 Nubier müssen ihre Dörfer aufgeben und werden umgesiedelt. Im Januar 1960 kann der Staatspräsident die Grundsteinlegung zu seinem "Achten Weltwunder" feiern. Statt deutscher haben nun 1.800 sowjetische Ingenieure das Sagen auf der monumentalen Baustelle.
Radikaler Sprung in die Neuzeit
Mit der Schließung des Damms ist nach vier Jahren die erste Baustufe abgeschlossen. Am 13. Mai 1964 lösen Nasser und der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow gemeinsam die Sprengung am Damm des Umleitungskanals aus. Mit unbändiger Kraft ergießt sich der Nil in sein neu geschaffenes Bett. "Die Welt ist Zeuge einer großartigen Leistung, die euer Wille und eure Fähigkeit, hart und unter Entbehrungen zu arbeiten, vollbracht haben", ruft Nasser den zehntausenden Ägyptern zu, die das Schauspiel bei Gluthitze bewundern. Nach weiteren sechs Jahren Bauzeit ist der 111 Meter hohe, einen Kilometer breite und vier Kilometer Assuan-Damm vollendet.
Der neue Stausee, natürlich auf den Namen Nassersee getauft, füllt sich auf das zehnfache Volumen des Bodensees. Wenige antike Stätten wie der Felsentempel von Abu Simbel entgehen durch Umsetzung der Überflutung. Im September 1970, nur drei Monate nach der Vollendung des Assuan-Damms, stirbt Gamal Abdel Nasser. Sein steingewordenes Erbe verändert das rückständige Ägypten radikal, wird aber bis heute kontrovers diskutiert. Denn durch den ausbleibenden Nilschlamm entstehen enorme ökologische Probleme. Andererseits wird die Landwirtschaft von Überschwemmungen und Missernten in Dürrezeiten verschont. Dazu decken die Turbinen des Assuan-Damms einen großen Teil von Ägyptens Strombedarf und lassen die Einnahmen aus dem Öl-Export umso höher sprudeln.
Stand: 13.05.2014
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