Als sichersten Kompaktwagen der Welt kündigt Mercedes 1996 vollmundig seine neue A-Klasse an. Die riesige Blamage folgt bald: Während einer Testfahrt in Schweden kippt das jüngste Daimler-Benz-Produkt bei einen schnellen Ausweichmanöver um und landet auf dem Dach. Die folgenden hämischen Schlagzeilen wären den Mercedes-Konstrukteuren wohl erspart geblieben, hätten sie vorher jemanden gefragt, der sich mit "Elch-Tests" auskennt, zum Beispiel die Schüler des 1967 gestorbenen Designers Sixten Sason.
Seit 1939 arbeitet Sason als Konstrukteur für den schwedischen Flugzeughersteller Svenska Aeroplan Aktiebolaget, kurz Saab genannt. Die dort bis 1945 hergestellten Jagdbomber werden nach Kriegsende nicht mehr gebraucht. Deshalb gründet Saab eine neue Produktionssparte und steigt mit Sixten Sason als Chefdesigner in den Automobilbau ein. Da in Schweden viele Autounfälle durch plötzlich auftauchende Elche verursacht werden, ist Sason eines klar: Sein Wagen muss wendig und robust sein.
Gewöhnungsbedürftige Optik
Am 10. Juni 1947 präsentiert Saab sein Premieren-Modell 92001, mit einem Zweizylinder-Zweitaktmotor mit 22 PS und einer Spitzengeschwindigkeit von 100 km/h. Der heute als "Ursaab" legendäre Kompaktwagen verfügt – damals ein Novum im Autobau - über einen Seitenaufprallschutz mit äußerst stabiler Fahrgastzelle. Weit größeres Aufsehen erregt das spektakuläre Design des Saab, das die berufliche Herkunft seines Schöpfers nicht verleugnen kann. "Die Form des 92001 erinnert an den Querschnitt einer Flugzeugtragfläche", erklärt Detlef Schulte vom 1. Deutschen Saab Club, "der Unterboden ist vollkommen flach und windschnittig. Das Auto hat, wie man heute sagt, einen guten Cw-Wert."
Ab Sommer 1949 beginnt im Saab-Werk Trollhättan die Serienproduktion. Um Zeit und Geld zu sparen, gibt es den ersten Saab anfangs nur in moosgrün. Mit seiner aerodynamisch fortschrittlichen, aber gewöhnungsbedürftigen Optik hat es der neue Schwede trotz zahlreicher technischen Innovationen schwer, sich in Europa zu etablieren. "Mit diesen Dingern schwamm man gegen den Strom. Selbst mir war es am Anfang peinlich, damit zu fahren – bis ich selbst einen hatte", erinnert sich Saab-Fan Detlef Schulte heute lachend.
Stabil, innovativ, defizitär
Die Stärken des Hingucker-Autos stellt Schwedens Rallye-Ikone Erik Carlsson unter Beweis. Zwischen 1957 und 1967 sammelt er mit den Saab-Typen 93 und 96 internationale Siege in Serie. "Der war nicht besonders schnell, aber robust", schwärmt Carlsson. "Je härter die Strecke, desto größer war die Chance zu gewinnen." Auch Überschläge, bei Carlssons Fahrstil beinahe an der Tagesordnung, steckt der stabil gebaute Saab weg. Doch trotz seiner erwiesenen Sicherheit bleibt der Wagen mit dem eigenwilligen Design auf dem weltweiten Markt eine Nischenmarke für Auto-Individualisten, nicht zuletzt wegen seines vergleichsweise hohen Preises.
Anfang der 80er Jahre setzt Saab auf eine Design-Reform mit längeren, breiteren Modellen und stärkeren Motoren. Doch auch der erste serienmäßige Turbo lockt nicht genügend Käufer an; die Produktion bleibt defizitär. 1989 muss Saab schließlich 50 Prozent an General Motors (GM) verkaufen. 2000 übernimmt der US-Riese die schwedische Marke dann komplett – für echte Saab-Fans der Anfang vom Ende. In schneller Folge wechseln nun die Namen von Übernahmekandidaten und Gerüchte über Beteiligungen. Als GM zuletzt den Einstieg von chinesischen Investoren verhindert, muss Saab Automobil im Dezember 2011 nach 64 Jahren endgültig Konkurs anmelden. Der einstige Mutterkonzern Saab macht dagegen als Flugzeug- und Rüstungsschmiede weiter gute Geschäfte.
Stand: 10.06.2012
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