Frauenmörder Henri Désiré Landru im Gerichtssaal

Stichtag

30. November 1921 - Frauenmörder Landru zum Tode verurteilt

Vor dem Gerichtsgebäude von Versailles herrschen tumultartige Zustände. Ganz Paris scheint an jenem 21. November 1921 angereist zu sein, um die Eröffnung eines der spektakulärsten Mordprozesse der französischen Justizgeschichte mitzuerleben. Einfache Bürger und feine Leute, Schriftsteller und berühmte Schauspieler feilschen zu Schwarzmarktpreisen um eine Eintrittskarte.

Seit zwei Jahren beherrscht der Fall des Heiratsschwindlers Landru die Schlagzeilen. Zehn Frauen und einen Mann soll der unscheinbare Glatzkopf mit dem schwarzen Vollbart zwischen 1914 und 1919 umgebracht haben. Die Indizien sprechen gegen ihn, doch echte Beweise hat der ermittelnde Kommissar Belin nicht finden können. Mit Unschuldsmiene, selbstsicher und gelassen tritt der Angeklagte vor das Schwurgericht; die Sympathien der Menschen gehören ihm. Landru "ist der Held des Tages", schreibt die Tageszeitung "Le Temps".

Keine Rückfahrkarte für die Opfer

Sechs Mal bereits hat der 52-jährige Henri Désiré Landru seit 1900 wegen Betrugs und Heiratsschwindels im Gefängnis gesessen. Als dem Familienvater 1914 schlussendlich die lebenslange Deportation droht, verschwindet er von der Bildfläche. Laut Anklageschrift beginnt Landru nun unter wechselnden Namen seine Karriere als "Blaubart", als serienmäßiger Frauenmörder. Er nutzt den Männermangel während des Kriegs gegen Deutschland und nimmt in fünf Jahren per Heiratsannonce Kontakt zu 283 Frauen meist reiferen Alters auf. Mindestens zehn treffen sich mit Landru und werden danach nie wieder gesehen. Auch ein Sohn der ersten Bekanntschaft taucht nicht mehr auf.

Penibel wie ein Buchhalter, aber kryptisch verschlüsselt, notiert Landru jedes Detail seiner Affären, die stets nach dem gleichen Muster verlaufen. Jedes Mal lädt er das Opfer in sein Landhaus in Gambais ein. Als stärkstes Indiz erweist sich später, dass er für sich immer ein Hin- und Rückfahrtbillet kauft, für seine Begleitung jedoch nur eine einfache Fahrt. Dort in Gambais verliert sich dann die Spur der Frau. Nachbarn werden aber berichten, dass nach jedem Besuch dichter, nach Menschenfleisch stinkender Rauch aus dem Schornstein quillt.

Prozess ohne Leiche

In den Wirren des Weltkriegs erkennt die Polizei lange keinen Zusammenhang zwischen den eingehenden Vermisstenanzeigen. Unentdeckt bleibt auch, dass Landru die Konten der Opfer plündert sowie deren Möbel und Schmuck verkauft. Erst im April 1919 kann Kommissar Belin die benutzten Pseudonyme mit Landrus echtem Namen verbinden und ihn in seiner Pariser Wohnung verhaften. Auf dem Grundstück in Gambais und im kleinen Kohleofen der Villa werden Knochenreste gefunden. Ein von Landru angemieteter Lagerraum ist randvoll mit dem Hab und Gut der Opfer. Doch weil keine einzige Leiche gefunden oder gar identifiziert wird, weil Landru kein einziger Mord zu beweisen ist, spielt er weiter das Unschuldslamm. Er gesteht kleinere Betrügereien, doch alle vermissten Frauen, so seine Aussage, hatten ihre Familien verlassen wollen, um im Ausland ein neues Leben zu beginnen.

Während des dreiwöchigen Prozesses gibt Landru den höflichen Gentleman, der genießt und schweigt. Kultiviert und redegewandt zerpflückt er genüsslich die Vorhaltungen des Staatsanwalts. Zeuginnen berichten angetan von den betörenden Liebhaber-Qualitäten des schmächtigen Mannes mit dem Raubvogelblick. Seine Ehefrau lobt ihn als fürsorglichen Familienvater, während die Polizei erhebliche Versäumnisse bei den Ermittlungen einräumen muss. So konnten etwa an die 100 Neugierige durch das angebliche Mordhaus in Gambais laufen, bevor die Knochenreste gesichert wurden. Trotzdem wird Henri Désiré Landru am 30. November 1921 zum Tode verurteilt. Drei Monate später fällt sein Kopf unter der Guillotine.

Stand: 30.11.2011

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