Anfang des 16. Jahrhunderts bietet das Abendland ein Bild völliger Zerstrittenheit. 1520 wird der Habsburger Karl V. zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs gekrönt. Zur gleichen Zeit verbrennt Martin Luther in Wittenberg den vom Papst gegen ihn erlassenen Bannbrief. Der Hass zwischen Protestanten und Katholiken verschärft nun die Kriege, die Karl V. und sein Bruder Ferdinand, Erzherzog von Österreich, gegen Frankreich und England um die Hegemonie in Europa führen.
Die Kriege im Westen binden die Militärkraft der Habsburger und erschweren ihnen die Verteidigung der Ostgrenzen und den Erhalt ihres Machtanspruchs in Ungarn. Als Frankreich deshalb ein taktisches Bündnis mit den Osmanen eingeht, rückt ein Herrscher in den Brennpunkt der europäischen Politik, der wie Karl 1520 den Thron besteigt: Süleyman I., genannt "der Prächtige". Als unantastbare Idealgestalt eines muslimischen Herrschers wird er bis heute in der Türkei verklärt.
Religionskriege in West und Ost
Mit seinem Sieg in der Schlacht bei Mohács erobert Süleyman 1526 den größten Teil Ungarns, der Rest geht an Habsburg. Die Grenze zum osmanischen Reich ist nun nur noch 150 Kilometer von Wien entfernt. Drei Jahre später stößt der Sultan, der die meisten seiner Feldzüge persönlich anführt, mit 120.000 Soldaten auf Wien vor. Bei der Belagerung sterben binnen drei Wochen 40.000 Osmanen. Obwohl sich Süleyman im Oktober 1529 zurückziehen muss, hinterlässt er ein von Panik vor der "Türkengefahr" geschütteltes Europa. "Der Türke ist Gottes Rute und des Teufels Diener", verflucht ihn der Reformator Luther.
Während Karl V. gegen Luthers Ketzerlehre ankämpft und das Abendland in grausamen Glaubenskriegen versinkt, wird auch Süleymans Reich von religiösen Auseinandersetzungen beherrscht. Der Kampf zwischen Sunniten und Schiiten ist zwar fast so alt wie der Islam selbst. Doch Süleyman instrumentalisiert als erster Sultan die gegenseitige Verteufelung der Muslime für seine Eroberungspolitik. So leitet er die massive Verfolgung der schiitischen Bewohner Ostanatoliens ein, jener abtrünnigen Glaubensgemeinschaft, die wir als Aleviten kennen und zu der der türkische Staat noch heute ein gespaltenes Verhältnis hat.
Längstes Sultanat der Geschichte
Der Feldherr Süleyman erkämpft dem osmanischen Reich seine weiteste Ausdehnung; im Inneren ordnet er es durch ein dauerhaftes System von Gesetzen. Die offizielle türkische Geschichtsschreibung ehrt ihn deshalb als "Kanuni", den "Gesetzgebenden". Als Bauherr lässt er Hunderte Brücken und jenes Leitungsnetz errichten, das Istanbul noch im 20. Jahrhundert mit Trinkwasser versorgt. Die Moscheen, Kuppeln und Minarette der Süleyman-Zeit prägen bis heute das Gesicht der Bosporus-Metropole.
Als Dichter, der selbst über 3.500 Gedichte schreibt, fördert der in Europa wegen seiner Prachtentfaltung legendenumwobene Süleyman die Entwicklung der osmanischen Literatur wie kein anderer Sultan. 46 Jahre lang, länger als jeder andere Sultan, beherrscht er das osmanische Reich. Noch im hohen Alter von 70 Jahren führt Süleyman ein Heer nach Ungarn. Dort stirbt er am 6. September 1566 während der Belagerung von Szigetvár.
Stand: 06.09.2011
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