Die Klagemauer in Jerusalem: Juden beten dort und trauern. Sie ist eine Ruine, die Westmauer des Fundaments des früher einzigen jüdischen Tempels - einst Zentrum des antiken Judentums. Am 30. August 70 nach Christus wird er von den Römern zerstört.
"Wie eine Burg ragte der Tempel über die Stadt, über und über mit dicken Goldplatten umhüllt. Und wenn die Sonne aufging, gab er einen Glanz wie Feuer von sich", schreibt der Chronist Flavius Josephus später. "Fremde, die sich Jerusalem näherten, hatten den Eindruck eines Schneegipfels."
Rom ist fern
Die Zerstörung beendet den jahrelangen Aufstand der Juden gegen die römischen Besatzer. Josephus ist selbst einer der Aufständischen, kämpft gegen die Römer, wird aber gefangen genommen und läuft über. Dem siegreichen Feldherrn Titus prophezeit er die Kaiserkrone. Aus dem jüdischen Priestersohn wird ein römischer Schriftsteller.
Wie aber kommt es zu dem Konflikt? Offiziell ist die jüdische Religion im Römischen Reich rechtlich akzeptiert. Doch die judäische Provinz ist fern von Rom. Gierige Statthalter machen den Juden das Leben schwer, schreibt Josephus. Gleichzeitig hätten jüdische Fanatiker die Bevölkerung aufgestachelt, "für ihre Freiheit zu kämpfen".
Befehl von Titus?
Bis zuletzt verschanzen sich die Rebellen im Tempel. "Als die römischen Soldaten den fliehenden Juden nachdrängten, da packte einer von ihnen eine Brandfackel und warf sie durch das goldene Fenster", schreibt Josephus. "So wurde der Tempel gegen den Willen des Titus ein Raub der Flammen."
Der Historiker Werner Eck von der Universität Köln sieht das anders. Den Befehl zur Zerstörung habe wohl Titus gegeben. Josephus habe seinen Gönner offenbar von der historischen Schuld entlasten wollen.
Verbotene Stadt
Mit der Zerstörung endet das antike Judentum. Fortan gibt es keine Priester, Tieropfer und Wallfahrten mehr. Das rabbinische Zeitalter beginnt. Der Lehrer - der Rabbi - wird zum Interpreten der Gesetze Gottes, die Synagoge zum Ort der Thora-Lesung und der Predigt.
Per Gesetz verbietet Rom den Juden, sich Jerusalem zu nähern. Im 7. Jahrhundert erobern die islamischen Ummayyaden Jerusalem und erbauen auf dem Tempelberg den Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee.
Historische Erinnerung
Erst mit der Gründung des Staates Israel 1948 kehren Juden offiziell nach Judäa zurück. Jerusalem wird Hauptstadt und der Tempelberg zum politisch hochsensiblen Ort.
Bis heute träumen ultraorthodoxe Juden von einem neuen Tempel. Doch für konservative und Reform-Juden ist der zerstörte Tempel eine historische Erinnerung.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 30. August 2020 ebenfalls an die Zerstörung des Tempels von Jerusalem. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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