Ende des 19. Jahrhunderts verschlägt es den jungen Richard Schirrmann aus seiner ostpreußischen Heimat nach Gelsenkirchen. Als begeisterter Naturfreund hält es der am 15. Mai 1874 geborene Lehrer in der von Schwerindustrie und Bergbau verdreckten Stadt kaum aus.
"Als ich ein Bad in der Emscher nahm, kam ich wie ein geteerter Regenwurm wieder heraus", erzählt Schirrmann später. So oft es geht, zieht der passionierte Wanderer mit seinen Schülern hinaus ins Münsterland, in die Ruhr-Berge und an die Lenne: "Dort fand ich wieder, was ich suchte: Kinderland."
Herbergsvater auf Burg Altena
Genervt von Schirrmanns Extratouren versetzt die Schulaufsicht den Lehrer 1903 nach Altena im Sauerland. Auch dort verlegt er den Unterricht am liebsten in die freie Natur. Als Mitglied des Sauerländischen Gebirgsvereins kommt Schirrmann die Idee, ein weites Netz von einfachen Unterkünften für junge Wanderer zu schaffen.
Auf der Burg Altena entstand die erste Jugendherberge weltweit.
So könnten in den Ferien in Schulen billige Nachtquartiere entstehen, plant Schirrmann zunächst. Er gewinnt viele Unterstützer für seine Idee und findet 1912 den Standort für die erste dauerhafte Jugendherberge der Welt: die 800 Jahre alte, gerade restaurierte Burg Altena. Das Amt des Herbergsvaters übernimmt Schirrmann selbst.
Rasch breiten sich Jugendherbergen im Reich und über dessen Grenzen hinaus aus. Als sich 1932 Europas Herbergsväter zur Gründung eines internationalen Verbandes treffen, gibt es in zwölf Ländern bereits 2.600 Einrichtungen, davon 2.000 in Deutschland. Schirrmann lässt sich als Lehrer beurlauben und wird 1933 Vorsitzender des Internationalen Jugendherbergsverbandes IYHF.
Aus der HJ ausgeschlossen
Kaum an der Macht, okkupieren die Nationalsozialisten den deutschen Verband. Schirrmann wird Unterbannführer der Hitlerjugend (HJ) und die Herbergen verwandeln sich zwangsweise in Schulungsstätten für Jungnazis.
1936 wird Schirrmann wegen "schwerer Disziplinlosigkeit und HJ-schädigenden Verhaltens“ aus der HJ ausgeschlossen. In einem kleinen Dorf im Taunus übersteht er die Nazi-Herrschaft. Von 1948 an organisiert Richard Schirrmann den Wiederaufbau des deutschen Jugendherbergswerks und die Aussöhnung mit den europäischen Verbänden.
Nicht zuletzt dank Schirrmanns Reputation kehrt die BRD 1950 als vollwertiges Mitglied in die "International Youth Hostel Federation" zurück. Als Ehrenbürger von Altena und geehrt mit dem Großen Bundesverdienstkreuz stirbt der Vater der Jugendherbergen 1961 im Alter von 87 Jahren.
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