Wie viele Widersprüche passen in einen Menschen? Der Liedermacher Gerhard Gundermann ist Baggerfahrer und arbeitet in einem Braunkohlerevier in der Lausitz. Abends steht er mit Fleischerhemd, großer Brille und Gitarre auf der Bühne. Und morgens klettert er im Blaumann auf seinen Bagger im Tagebau, auf dem Kopf trägt er einen Helm, auf dem "Onkel Gundi" steht.
Gundermann könnte längst von seiner Musik leben. Aber das will er nicht. Er brauche den Rhythmus der Schaufelräder als Inspiration, sagt er einmal.
Gundermann wird inoffizieller Mitarbeiter der Stasi
Gerhard Gundermann wird am 21. Februar 1955 in Weimar geboren und will die Welt verbessern. Dafür ist die DDR offen: Solange jemand nur die Welt, nicht aber das eigene Land verändern will.
Gerhard Gundermann neben seinem Braunkohlebagger bei Hoyerswerda
Als Arbeiter, der sich künstlerisch ausdrücken will, könnte er in der DDR eine Bilderbuchkarriere machen. Gundermann wird Politoffizier bei der NVA und engagiert sich musikalisch in einem Armeechor. Als er kein Loblied auf einen General singen will, landet er als Hilfsarbeiter im Tagebau. Und bildet sich zum Facharbeiter weiter, hört nie auf, Musik zu machen.
Er wird inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit, glaubt, so gegen Bonzen und Stalinisten anzukommen. "Ich habe sieben Jahre mit der Staatssicherheit kooperiert. Und dann haben sie sieben Jahre gegen mich operiert. Also: Ich habe eine relativ ausgeglichene Bilanz", erzählt Gundermann in einem Radiointerview. Und sagt weiter: "Ich kann nicht im Nachhinein sagen, das war falsch, das war richtig. Ich denke, wir sind auf der Welt, damit wir Fehler machen, damit wir lernen."
Gundermann will mit denen arbeiten, für die er singt
Auch in die Staatspartei SED tritt er ein – und wird bald wieder rausgeworfen, "wegen unerwünschter eigener Meinung", wie es offiziell heißt. Dennoch darf Gundermann eine Platte aufnehmen: "Männer, Frauen und Maschinen" (1988), alles neben seiner Arbeit als Baggerfahrer.
Mit dem Ende der DDR kommt das Ende des Tagebaus. Gundermann beginnt 1997 eine Umschulung zum Tischler. Denn er will mit denen arbeiten, für die er singt. Poetisch verarbeitet er auf seinen Platten die Folgen der Wiedervereinigung für den Osten Deutschlands. Er setzt sich in seinen Songtexten kritisch mit Themen wie Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung und den Niedergang der Industriereviere in der ehemaligen DDR auseinander.
Dass er als Liedermacher mit dem Film "Gundermann" von Andreas Dresen 2018 endlich in ganz Deutschland bekannt wird, erlebt er nicht mehr. Er ist 1998 gestorben – mit 43 Jahren.
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