Saale-Unstrut-Weinkönigin mit Weinsiegel, 1994

Stichtag

20. September 1950 - Das Deutsche Weinsiegel wird eingeführt

"Schütt' die Sorgen in ein Gläschen Wein", empfiehlt 1951 der Kölner Volkssänger Willy Schneider in einem seiner bekanntesten Lieder. Sorgen haben so kurz nach dem Krieg noch viele Deutsche, seltener aber Wein im Glas. Riesling, Silvaner oder Müller-Thurgau zählen noch nicht zu den verbreiteten Gaumenfreuden, von Wein-Kennerschaft ganz zu schweigen.

Ein guter Tropfen gilt gemeinhin als Getränk der "besseren Kreise"; um die Finessen von Lagen, Rebsorten und Lagerung wissen nur echte Trauben-Liebhaber. Weiß oder rot, trocken oder lieblich – das reicht den meisten als geschmackliches Auswahlkriterium für den Weinkauf zur Familienfeier.

Auszeichnung mit Geschmacksampel

Entsprechend ausbaufähig ist der Markt, befinden die deutschen Weinanbauer und nehmen Verkaufsförderung samt Qualitätssicherung selbst in die Hand. "Da es 1950 noch keine amtliche Prüfungsnummer gab", so der Diplom-Önologe Klaus Rufli, "haben sich die Winzer aller Anbaugebiete zusammengetan und ein eigenes Gütezeichen beschlossen – das Deutsche Weinsiegel". Unter dem Dach der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) werden in allen Weinbaugebieten Prüfkommissionen eingerichtet, die die Qualität der eingereichten Produkte bewerten.

Im September 1950 vergibt die DLG erstmals das Gütezeichen, das den Verbrauchern beim Weinkauf besondere Qualität signalisieren soll. Um die Geschmacksrichtung auch ohne genaues Studium des Etiketts zu verdeutlichen, gibt es das Deutsche Weinsiegel in drei Farben: Trockene Weine erhalten ein gelbes, halbtrockene Weine ein grünes und liebliche Weine ein rotes Siegel. Für eine Auszeichnung müssen die Weine bei der Prüfung mindestens 2,5 von 5 möglichen Punkten erreichen. Wenn sich die Experten der heute von Klaus Rufli geleiteten DLG Testservice GmbH ans Verkosten machen, ist Wein-Romantik allerdings fehl am Platz.

Weinsiegel kontra Social Media

Weiße Fliesen, kühles Neonlicht: Der Testraum strahlt eher den Charme einer Pathologie aus; Wein getrunken wird dort nicht. Die Prüfer nippen nur an den anonymisierten Proben und "schwenken" den Wein im Mund. Dann wird ausgespuckt, sensorisch bewertet und das Geschmacksempfinden mit einem Stück Brötchen neutralisiert. Die Details der Punktevergabe nach den von den Testern selbst entwickelten Kriterien bleiben unveröffentlicht. Deshalb, so kritisieren Verbraucherschützer, sei die Verleihung des Qualitätssiegels kaum nachvollziehbar.

Rund 6,5 Millionen Flaschen jährlich schmücken sich noch mit dem Deutschen Weinsiegel, deutlich weniger als in früheren Jahren. Das traditionsreiche Label verliert an Bedeutung. Viele Weinbauern gehen bei der Vermarktung inzwischen eigene Wege und suchen den direkten Kontakt zum Kunden. Vor allem die "jungen Wilden" unter den Winzern nutzen für ihre PR lieber die sozialen Netzwerke. "Die haben alle ihre Facebook-Seiten und kommunizieren dort regelmäßig", sagt Andrea Engelmann. Die Marketingexpertin für Wein ist überzeugt: Eine originell gesprochene Expertise auf Youtube wirkt heute verkaufsfördernder als die prächtige Siegel, Plaketten und Goldmedaillen auf dem Etikett.

Stand: 20.09.2015

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