Austausch von 27 Agenten an der Glienicker Brücke in Berlin: Die vier in den USA verurteilten Ost-Spione verlassen am 11.06.1985 einen US-Bus

Stichtag

11. Juni 1985 - Größter Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke

11. Juni 1985, 12.00 Uhr: Die Glienicker Brücke, die sich über die Havel spannt und Potsdam mit Berlin verbindet, ist Schauplatz des größten Agentenaustauschs im Kalten Krieg. 27 Spione wechseln die Seiten: 23 im Osten gegen vier im Westen inhaftierte Agenten. "Jeder Schritt war vorgeplant, wie auf einer Theaterbühne", sagt Historiker und Journalist Norbert Pötzl. "Wer fährt mit welchen Fahrzeugen in welcher Reihenfolge auf die Brücke." Alle, die aussteigen, müssen sich legitimieren und werden auf einer Liste abgehakt. "Als wir dann über die weiße Linie liefen - da Osten, da Westen -, da war so ein Gefühl: Es ist vorbei mit den Genossen", erinnert sich Eberhard Fätkenheuer, der als DDR-Bürger für die USA spioniert hat.

Vorausgegangen ist ein jahrelanges Tauziehen um die Bedingungen des Deals. Ausgangspunkt ist ein Auftrag der DDR-Führung an den Ost-Berliner Anwalt Wolfgang Vogel, vier im Westen gefasste Ostspione zurückzuholen. Alle seien dicke Fische gewesen, sagt Journalist Pötzl. Der Pole Marian Zacharski habe hochwertige Informationen über US-Raketenabwehrsysteme beschafft. Der Bulgare Penju Kostadinow "war Handelsattachée an der Botschaft in Washington". Die DDR-Bürgerin Alice Michelson habe für den sowjetischen Geheimdienst KGB Kurierdienste geleistet. Alfred Zehe, Physikprofessor aus Dresden, habe während seiner Gastprofessur in Mexiko entwendete geheime US-Rüstungsdokumente begutachtet.

Top-Spione und Hobby-Agenten

Für Zehe habe sich besonders der DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker eingesetzt, so Pötzl. "Den wollte er, aus welchen Gründen auch immer, unbedingt schnell freibekommen." Dadurch habe sich der Druck noch erhöht. Deshalb macht sich DDR-Unterhändler Vogel auf die Suche nach Tauschmöglichkeiten - und stößt auf insgesamt 25 festgenommene DDR-Bürger, die wie Fätkenheuer von den USA als Agenten angeworben worden sind. Als Vogel seine Liste den Amerikanern präsentiert, erlebt er eine Überraschung: Die Ostdeutschen sind seinen Verhandlungspartnern nicht bekannt. Es stellt sich heraus, dass die "Military Intelligence", der Nachrichtendienst des US-Militärs, auf eigene Faust aktiv geworden ist - ohne dass FBI, CIA oder andere US-Stellen davon wussten.

"Das war unprofessionell bis zum Letzten", sagt John Kornblum, der damals als Mitarbeiter des US-Außenministeriums an den Verhandlungen beteiligt ist. Die angeworbenen DDR-Bürger seien irregeführt worden. "Das waren keine Agenten, das waren ganz normale Leute." Der Wert des Ausgekundschafteten ist dementsprechend dürftig. Kfz-Ingenieur Fätkenheuer tarnt sich zum Beispiel als Pilzsucher, zählt vom Straßenrand aus verstohlen die Fahrzeuge auf einem Militärgelände der Nationalen Volksarmee oder nähert sich einer Raketenbasis bis zu einem Schild, auf dem steht: "Halt, weitergehen verboten. Es wird geschossen."

Montelang bewegt sich nichts

Die Freizeit-Agenten werden von der Stasi rasch enttarnt - wie der 1975 von einem Mittelsmann angeworbene Fätkenheuer, der ab 1977 überwacht und 1979 wird er zu 13 Jahren Haft verurteilt wird. Inzwischen sind jedoch nicht nur andere Hobby-Spione aufgeflogen: "1977 ist in Moskau der jüdisch-russische Dissident und Menschenrechtsaktivist Anatoli Schtscharanski verhaftet worden - unter dem vorgetäuschten Vorwurf der Agententätigkeit", sagt Historiker Pötzl. DDR-Anwalt Vogel will Schtscharanski in den Agentendeal einbinden - aber die US-Seite mauert. Sie besteht darauf, dass er kein Agent sei. Monatelang bewegt sich nichts. Schließlich droht Vogel, die Angehörigen der inhaftierten Laien-Agenten könnten sich an die Westpresse wenden und erzählen, die USA kümmerten sich nicht um ihre enttarnten Spione.

Plötzlich geht alles ganz schnell. Schtscharanski wird aus dem Deal ausgeklammert. Der Austausch soll auf der Glienicker Brücke stattfinden - am helllichten Tag. Beide Seiten erhoffen sich von der humanitären Geste einen Imagegewinn. Der Bus, in dem Fätkenheuer und 24 Ex-Agenten sitzen, muss allerdings vor der Brücke halten, weil diese gerade erneuert wird. Anwalt Vogel, US-Diplomat Kornblum und der US-Botschafter in Bonn, Richard Burt, steigen zu. "Burt begrüßte uns sehr herzlich und sagte: 'Best Wishes from President Reagan!'", erinnert sich Fätkenheuer. Damals ist er unsicher, ob er tatsächlich in den Westen gehen soll. Als ihm zugesagt wird, dass er seine Familie nachholen kann, ergreift er die Möglichkeit. Zwei der 25 Agenten entscheiden sich gegen diesen Schritt und bleiben zunächst in der DDR. Die anderen müssen wegen der Baustelle die Brücke zu Fuß überqueren. Acht Monate später darf auch Schtscharanski in den Westen - beim nächsten und letzten Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke.

Stand: 11.06.2015

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