Hollywood rollt dem hageren Revue-Star aus New York nicht gerade den roten Teppich aus. "Kann nicht singen. Kann nicht spielen. Neigt zur Glatze. Kann etwas tanzen", notiert ein Filmagent nach Fred Astaires ersten Probeaufnahmen. Das RKO-Studio, das 1933 gerade "King Kong" dreht, nimmt den charmanten Schlacks zwar unter Vertrag, leiht ihn aber zunächst an ein anderes Studio aus.
Der 1899 als Frederick Austerlitz in Nebraska geborene Astaire tanzt und singt, seit er fünf ist. Mit seiner Schwester Adele tingelt er durch die Provinz, bis dem "Sensations-Kindertanzpaar" 1917 der Durchbruch am Broadway gelingt. Als sich Adele 1931 auf einer umjubelten England-Tournee in einen Lord verliebt, steht Astaire ohne Partnerin da und startet eine Filmkarriere. Für eine Nebenrolle in "Flying down to Rio" bringt RKO ihn mit der zwölf Jahre jüngeren Ginger Rogers zusammen: Hollywoods Traum-Tanzpaar hat sich gefunden.
Glamour-Märchen in der Depression
Zehn Welterfolge wird Astaire, der innovativste und eleganteste Tänzer seiner Zeit, mit seiner kongenialen Partnerin Ginger Rogers drehen. Beinahe schwerelos schweben sie durch die Szenerie, wie auf die Leinwand getupft wirken ihre Tänze. Die scheinbare Mühelosigkeit ist hart erarbeitet; der Perfektionist Astaire probt noch die kleinste Bewegung, bis Ginger Rogers die Füße bluten. Das Ergebnis aber ist reine Magie, schwärmt der Berliner Filmkritiker Michael Hanisch: "So wie Astaire seine Partnerin verzaubert, wie er ihr eine getanzte Liebeserklärung macht, so wird auch der Zuschauer verzaubert."
Mit dem am 10. Mai 1935 gestarteten Musical "Top Hat", ihrer dritten Zusammenarbeit, erreichen Astaire und Rogers eine bis heute unübertroffene Harmonie. Das Strickmuster der Love Story in fünf Tanznummern ist so schlicht wie bewährt: Der erfolgreiche Bühnenstar Jerry verknallt sich in das blonde Model Dale. Sie hält ihn aber für den betrügerischen Ehemann ihrer Freundin. Nach etlichen Flirts und Krächen findet das Paar in Venedig natürlich doch zueinander. Ein federleichtes Glamour-Märchen zum Träumen, zwei Stunden Flucht aus der Tristesse einer tiefen Depression, die ganz Amerika seit Jahren lähmt.
"Ich liebe, wenn ich tanze"
"Top Hat" kostet RKO die damals horrende Summe von rund 600.000 Dollar, die vor allem in die verschwenderische Ausstattung fließen. Für den Nachbau von Venedig samt Miniaturausgabe der Rialto-Brücke wird das ganze Studio geflutet. Cineastisch bedeutsam ist die Arbeit von Kameramann David Abel. Er wagt erstmals, die bislang auf der Leinwand verpönte Farbe Weiß in verschiedensten Schattierungen abzulichten, was entscheidend zur extravaganten Wirkung des Films beiträgt. Fred Astaire, der alle Choreographien selbst entwickelt hat, besteht gegenüber Regisseur Marc Sandrich auf totalen Kameraeinstellungen ohne Zwischenschnitte, um die federnde Leichtigkeit der Tanzbewegungen in den pompösen Bauten zu betonen.
Wie kein Zweiter versteht es Astaire, Tänze in die Handlung zu integrieren, fließend vom Dialog in Gesang und Bewegung überzugehen. "Cheek to Cheek" – Wange an Wange gleiten Jerry und Dale so aus dem lustigen Verwirrspiel ins getanzte Schwärmen und Schmiegen – ein Zuckerhimmel voll knisternder Erotik und doch züchtig, wie die Zensur es verlangt. "Ich liebe nicht, wenn ich küsse. Ich liebe, wenn ich tanze", hat Astaire einmal gesagt. Mit dem Evergreen "Cheek to Cheek", von Irving Berling geschrieben und heute sogar von Lady Gaga gesungen, wird "Top Hat" zum größten Kassenschlager der RKO. Deutsche Kinogänger erleben die Magie von Ginger und Fred erst 1950, unter dem Titel "Ich tanz‘ mich in dein Herz hinein".
Stand: 10.05.2015
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