Helmut Kohl (CDU) in Halle nach den Eierwürfen

10. Mai 1991 - Eierwürfe auf Helmut Kohl in Halle

Stand: 10.05.2016, 00:00 Uhr

Wut im Bauch und rohe Eier in der Hand hat Matthias Schipke, als Bundeskanzler Helmut Kohl am 10. Mai 1991 am Marktplatz in Halle aus dem Auto steigt. Nachdem Kohl im Januar 1991 zum ersten Kanzler des wiedervereinigten Deutschlands gewählt wurde, macht er einige Antrittsbesuche in den Neuen Bundesländern. Der kurze Gang zum Rathaus in Halle wird zum Spießrutenlauf für den Kanzlertross. Pfiffe und Buhrufe übertönen den Applaus - und die platzenden Eier besudeln Kohls Gesicht und Anzug. Seine Reaktion überrascht alle: Statt ins sichere Gebäude zu fliehen, sich wenigstens unter die eilends aufgespannten Regenschirme zu ducken, wendet er sich ruckartig nach links. Mit der ganzen Wucht seines über 1,90 Meter großen Körpers geht er allein auf die Demonstranten los. "Da ich nicht die Absicht habe - wenn jemand vor mir steht und mich bewirft - davonzulaufen, bin ich eben auf die Menschen zu. Und da hat ein Gitter dazwischen gestanden. Und das war von Nutzen", erklärt Helmut Kohl später auf der Bundespressekonferenz.

Der besudelte Kanzler

Der Zorn des besudelten Kanzlers trifft vor allem Matthias Schipke, den langhaarigen jungen Mann, stellvertretender JuSo-Vorsitzender in Halle, der in einer Hand eine JuSo-Fahne hält und mit der anderen die Eier abfeuert. Helmut Kohl reißt sich mehrfach von seinen Personenschützern los und langt mit dem linken Arm über das Gitter. Es ist die vielleicht eindrücklichste Szene dieses Tumults: Schipke, dieser vergleichsweise schmächtige Mann, entgeht dem Zugriff des mächtigen Kanzlers nur knapp.

In Ostdeutschland ist im Mai 1991 die Euphorie nach der Wiedervereinigung verflogen. "In zwei, drei Jahren blühende Landschaften mitten in Europa", hatte Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) 1990 versprochen. Doch seitdem hatten die Menschen immer neue Betriebsstillegungen und Entlassungswellen erlebt. Viele Bürger der ehemaligen DDR fühlen sich abgehängt. "Das neue Deutschland hat mich bedroht. Es hat mir Angst gemacht. Und es war natürlich nicht unbedingt das Deutschland, was ich mir erhofft habe", sagt Matthias Schipke 2013 rückblickend in einem Interview mit dem WDR Fernsehen.

"Eierwerfen ist wahrscheinlich auch Gewalt"

Was folgt, ist eine Debatte über Sicherheitsmängel. Regierung und Opposition beschimpfen sich gegenseitig. Matthias Schipke jedoch, viele nennen ihn nun den "Eierwerfer von Halle", entschuldigt sich öffentlich. "Ich distanziere mich wirklich von meinem Verhalten. Ich möchte mich auch hier beim Kanzler Kohl dafür entschuldigen. Ich stehe voll dahinter, dass wir eine Kundgebung da gemacht haben. Aber nicht mehr von der Gewalt, die davon ausgegangen ist. Und Eierwerfen ist wahrscheinlich auch Gewalt."

Matthias Schipke wurde zwar verhaftet, blieb aber straffrei. Obwohl Helmut Kohl erst wütend auf ihn zustürmte, erstattete er keine Anzeige.

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