5. Dezember 1952 – Die Londoner "Great Smog"-Katastrophe beginnt
Stand: 27.11.2022, 12:01 Uhr
"Erbsensuppe" nennen die Londoner ihren berühmten Nebel. Im Dezember 1952 wird die Brühe aber immer dicker, stinkt nach Schwefel und legt die Stadt lahm. Orientierungslos irren die Menschen durch die Stadt, die zur Todesfalle wird.
Smog gehört seit Beginn der Industrialisierung zu London, verewigt in den Romanen von Charles Dickens und Arthur Conan Doyle. Doch am 5. Dezember 1952 ist der Dunst, der nach und nach die Stadt überzieht, anders.
Im Schritttempo fährt der Radioreporter Heinrich Wiedemann mit seinem Wagen vom Funkhaus nach Hause. Er erkennt weder die Fahrzeuge, die vor ihm fahren, noch die Menschen links und rechts auf dem Gehweg. Passanten tasten sich an Häuserfassaden entlang, um sich zu orientieren.
Notaufnahmen sind überfüllt
Anderen nimmt der neblige Qualm die Luft zum Atmen. "Die Leute wurden von den Straßen krank hereingebracht, und sie starben an der schrecklichen Luftverschmutzung", erinnert sich der Arzt Robert Waller, der seinerzeit im Krankenhaus im Dauereinsatz ist. Betroffen sind vor allem Asthma- und Herzkranke.
Menschen irren im Nebel durch London
Der Auslöser ist eine extrem hohe Schwefeldioxid-Konzentration in der Luft. Diese resultiert aus einer sogenannten Inversionswetterlage. Dabei legen sich wärme Luftschichten über die kältere Luft am Boden, sodass Abgase nicht mehr nach oben abweichen können. Es entsteht Smog - eine Mischung aus Rauch ("Smoke") und Nebel ("Fog")
Schwefelsäure in der Luft
Und Rauch gibt es genug in London: Die meisten Menschen heizen mit stark schwefelhaltigen Briketts. Da es im November und Anfang Dezember 1952 ungewöhnlich kalt ist, brennen die Heizöfen Tag und Nacht. Zudem geben die Fabriken und Kraftwerke große Mengen an Ruß- und Kohlestaub ab.
Als sich vom Atlantik eine warme Luftfront über die Stadt legt, können die Abgase nicht mehr nach oben entweichen. Nun kommt es zu einer tödlichen Kettenreaktion: Das in großen Mengen freigesetzte Schwefeldioxid verbindet sich mit Rauch und Nebel zu giftiger Schwefelsäure.
Auch in den Gebäuden bleibt niemand von dem dicken Nebelteppich verschont. Er dringt in die Häuser und Kliniken ein und legt sich wie ein grauer Film über alles.
Stille in der Stadt
Nebel erhöht die Zahl der Unfälle
Das öffentliche Leben steht still an diesem Adventwochenende. Restaurants und Theater bleiben geschlossen. Die Menschen versuchen, sich mit feuchten Tüchern vor Mund und Nase zu schützen. Viele Lungenkranke sterben trotzdem, außerdem steigt die Zahl der Unfallopfer. Wegen der schlechten Sicht werden Fußgänger überfahren oder stürzen in den Themse.
Rund 12.000 Menschen sterben an den Folgen
Erst am fünften Tag sorgt ein auffrischender Wind dafür, dass die giftige Nebelsuppe abziehen kann. Die Sterbestatistik verzeichnet 4.000 Londoner Tote mehr als an einem vergleichbaren Wochenende. An den Spätfolgen sterben vermutlich weitere 8.000 Menschen.
"Gesetz für saubere Luft" soll eine Wiederholung verhindern
Dennoch will die britische Regierung danach schnell zur Tagesordnung übergehen und gibt der extremen Wetterlage die Schuld. Doch Londoner fürchten, dass sich eine derartige Katastrophe jederzeit wiederholen kann und fordern Maßnahmen.
1956 ist es soweit: Der "Clean Air Act" ("Gesetz für saubere Luft") wird verabschiedet. Es entstehen unter anderem sogenannte rauchfreie Zonen, wo das Verbrennen von Kohle untersagt ist.
Autor des Hörfunkbeitrags: Ralf Gödde
Redaktion: Matti Hesse
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 5. Dezember 2022 an die "Great Smog"-Katastrophe in London. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
ZeitZeichen am 06.12.2022: Vor 100 Jahren: Proklamation des Freistaats Irland