Deutscher Hörbuchpreis: Das sind die Gewinner
Stand: 06.03.2024, 15:52 Uhr
Die Gewinnerinnen und Gewinner des Deutschen Hörbuchpreises stehen fest: In einer Live-Radio-Show auf WDR 5 wurde die Auszeichnung am Dienstag (05.03.2024) verliehen. Den Preis als beste Interpretin erhielt Maren Kroymann, bester Interpret ist Cornelius Obonya.
Moderatorin der festlichen Verleihung im Kölner Funkhaus: Marija Bakker
In sieben Kategorien wurde der Deutsche Hörbuchpreis 2024 verliehen. Den jährlichen Wettbewerb richtet der Verein "Deutscher Hörbuchpreis e.V." aus. Durch den festlichen Abend der Preisverleihung auf WDR 5 führte WDR-Moderatorin Marija Bakker.
Die ganze Sendung – mit prominenten Gästen, Gesprächen, Musik und Ausschnitten aus den prämierten Titeln – finden Sie hier zum Nachhören.
Die Gewinnerinnen und Gewinner des Deutschen Hörbuchpreises 2024
Beste Interpretin
Maren Kroymann für "Das andere Mädchen" von Annie Ernaux / Übersetzerin: Sonja Finck (Der Audio Verlag)
Maren Kroymann
Maren Kroymann sei mit ihrer Lesung (Regie: Barbara Meerkötter) große Sprechkunst gelungen, weil sie "der Seele des Textes auf die Spur kommt", so das Lob der Jury. Wer ist "das andere Mädchen"? Annie Ernaux schreibt an ihre verstorbene Schwester, von der sie als kleines Mädchen zufällig erfahren hat und über die ihre Eltern immer geschwiegen haben. Es ist die Schwester, die Annie Ernaux nie kennengelernt hat, weil sie schon vor Annies Geburt im Alter von sechs Jahren an Diphterie gestorben ist.
Maren Kroymann spreche nicht nur, sondern spiele die Erinnerungsreise als "eindringlichen, bewundernswert leicht daherkommenden Monolog", heißt es in der Begründung der Preisträger-Jury. "Die Adressatin, die verstorbene Schwester, kann sie nicht mehr erreichen, aber uns alle trifft sie mit dem Monolog ins Herz." Maren Kroymann reagierte in der Sendung gerührt: "Ich muss schlucken. Was für schöne Worte! Und ich bin gemeint!"
Bester Interpret
Cornelius Obonya für "Die Inkommensurablen" von Raphaela Edelbauer (Random House Audio)
Cornelius Obonya
Wien steht Kopf im Sommer 1914, vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Das deutsche Ultimatum läuft in Kürze ab. Patriotismus auf den Straßen, eine Stadt im Taumel. Dort hinein geraten drei junge Menschen: ein Pferdeknecht, ein Adliger und eine Mathematik-Doktorandin – sie verbringen den Vorabend des Krieges in einer Stadt im Ausnahmezustand.
"Die Inkommensurablen" zu hören, sei buchstäblich ein Ereignis, schwärmt die Jury. Cornelius Obonya gebe den Figuren nicht nur einen unverwechselbaren Sound, sondern rein akustisch auch Charakter und Haltung. Er entwerfe "einen Klangraum, in dem Junge und Alte, Visionäre und Träumer über Parapsychologie und den nahen Krieg diskutieren oder in fiebriger Erwartung der Zukunft aneinander vorbeireden".
Politische und geschichtliche Vorgänge verstehen
Was ihn hinziehe zu historischen Stoffen, will Marija Bakker von Cornelius Obonya wissen. Er hält es für unabdingbar, "um alle politischen, geschichtlichen Vorgänge zu verstehen, zu wissen, was zumindest die letzten 100 bis 200 Jahre so los war im Land." Gewisse Dinge seien mit diesem Wissen vermeidbar oder zumindest ganz gut bekämpfbar. "Wenn man das nicht weiß, dann fällt man immer auf die gleichen Dinge rein."
Bestes Hörspiel
"The Sick Bag Song. Das Spucktütenlied" von Nick Cave, Regie: Kai Grehn (Zweitausendeins / Major Label / Radio Bremen mit BR und SWR)
Kai Grehn
Ein Songtext auf Spucktüten geschrieben: Nick Cave ist auf Tournee mit den "Bad Seeds" quer durch Nordamerika. Auf Spucktüten hält er seine Gedanken fest, eine Art Tagebuch: mit Erinnerungen, Erlebnissen, Träumen, Albträumen und Begegnungen – etwa mit Johnny Cash. So entsteht ein Tour-Tagebuch, ein mitreißender Songtext über das Künstler-Dasein.
Vertrauen zwischen Schauspielern und Regie
Kai Grehn hat seine Hörspielfassung prominent besetzt und zu einem "langen Liebeslied in Zeitlupe" verdichtet. Auf die Stimme und die Musik des Autors könne er verzichten, bemerkt die Jury, "weil Andreas Fehling als Erzähler, Paula Beer als Muse und Tilda Swinton als Sängerin den komplex aufeinander bezogenen Texten eine überraschend homogene Form geben".
Als "Geschenk" bezeichnet Kai Grehn sein Team in der Sendung. "Das ist wie ein alchimistischer Schmelztiegel", beschreibt er den Entstehungsprozess. Grundvoraussetzung ist für ihn das beidseitige Vertrauen zwischen Schauspielern und Regie: "Ein Hochseil spannen, die Schauspieler einladen, auf dem Hochseil zu tanzen, zu balancieren. Alles ist erlaubt, alles ist möglich, auch das Unmögliche – oder vielleicht vor allem das Unmögliche."
Bestes Kinderhörbuch
"Sieben Tage Mo" von Oliver Scherz, vorgetragen von Jens Wawrczeck (Hörbuch Hamburg / Silberfisch)
Jens Wawrczeck
"Sieben Tage Mo" ist ein "sehr schönes und gefühlvolles Hörbuch zu einem sensiblen Thema", findet die Kinderjury. Es geht um die Zwillinge Karl und Mo, die komplett unterschiedlich sind. Mo hat eine kognitive Beeinträchtigung, weil er bei der Geburt zu wenig Sauerstoff bekam. Mo ist sorglos und ungehemmt. Karl übernimmt Verantwortung für seinen Bruder, sehnt sich aber auch nach mehr Freiheit. Und dann ist Mo plötzlich verschwunden.
Die verzweifelten Momente von Karl und seiner Mutter werden durch Sprecher Jens Wawrczeck "richtig gut spürbar", lobt die Jury. Die jungen Zuhörenden könnten "nachfühlen und erleben, dass Mo die Welt mit anderen Augen sieht". Es sei eine große Verantwortung, ein Hörbuch einzulesen, verrät Jens Wawrczeck im Gespräch mit Marija Bakker – und zwar nicht nur bei Kinderliteratur: "Vom Anspruch her, etwas mit einer gewissen Ehrlichkeit zu kommunizieren, ist das genau das gleiche – egal wie alt der Zuhörer oder die Zuhörerin ist."
Beste Unterhaltung
"Besser allein als in schlechter Gesellschaft. Meine eigensinnige Tante" von Adriana Altaras, Interpretinnen: Adriana Altaras und Angela Winkler (Argon Verlag)
Adriana Altaras (l.) und Angela Winkler
Die "eigensinnige Tante" von Autorin Adriana Altaras ist Jele. Als ihre Eltern aus Zagreb fliehen müssen, kommt Adriana mit vier Jahren zu ihrer Teta Jele nach Italien. Und diese bleibt bis zu ihrem Tod im Alter von 101 Jahren eine enge Vertraute und wichtige Ratgeberin für ihre Nichte.
Angela Winkler (l.) und Adriana Altaras tanzten sich im Studio warm
Das Besondere seien hier die Blickwinkel der beiden Sprecherinnen Angela Winkler und Adriana Altaras, so die Jury: "Die Erinnerungen der alten Teta Jele, hinter der ein Leben mit all der Schwere liegt, die das letzte Jahrhundert zu bieten hatte, wechseln sich mit der Leichtigkeit der Nichte und deren Wahrnehmung der Geschichte ab." Auf ganz unterschiedliche Art "beseelen die beiden Sprecherinnen ihre Charaktere". Die tiefe Verbindung der beiden Frauen werde greifbar, große Lebendigkeit spürbar.
Lebhaft ging's auch im Studio im WDR-Funkhaus zu. Angela Winkler und Adriana Altaras groovten sich vor den Mikrofonen ein – vor ihrem Auftritt wurde in der Sendung der Titel "Renegade" von Big Red Machine featuring Taylor Swift gespielt. "Ich bin so stolz auf uns, Angela!", jubelte Adriana Altaras.
Das besondere Hörbuch
"Jahrhundertstimmen 1945 – 2000. Deutsche Geschichte in über 400 Originalaufnahmen", Hrsg.: Hans Sarkowicz, Ulrich Herbert, Michael Krüger, Ines Geipel, Christiane Collorio (der Hörverlag)
Ulrich Herbert, Ines Geipel, Christiane Collorio, Hans Sarkowicz, Michael Krüger (der Hörverlag)
Die Auszeichnung "Das besondere Hörbuch" geht an den Hörverlag für die "Jahrhundertstimmen": Geschichte werde hier erlebbar und dadurch in ganz besonderem Maße real, bilanziert die Jury. Mitschnitte von Reden und Sitzungen, Interviews, Reportagen, Vorträge und Geheimdokumente lassen die Jahre zwischen 1945 und 2000 lebendig werden. Es sind über 400 Originalaufnahmen: Von der Kapitulation und dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis hin zur Wiedervereinigung und ihren Folgen.
Acht Jahre Konzepte geschrieben, verworfen, neu gemacht
Das Gesagte werde "kenntnisreich, nachvollziehbar und unterhaltsam" in den historischen Kontext eingebettet, heißt es in der Begründung: "Der jeweils individuelle Sound der Originalaufnahmen transportiert dabei eine Unmittelbarkeit und Wahrhaftigkeit, die weder Bücher noch Filmaufnahmen in dem gleichen Maße leisten können."
Acht Jahre lang hat das fünfköpfige Herausgeberteam an der Edition, deren zweiter Band hier nun ausgezeichnet wird, "gegrübelt, Konzepte geschrieben, verworfen, neu gemacht", gibt Christiane Collorio, Programmleiterin beim Hörverlag und Mitherausgeberin, Einblick in die Arbeit an dem Projekt. Ihr Kollege Hans Sarkowicz erläutert, was etwa den in der Sendung gespielten Auszug aus einem Interview mit Oskar Schindler so besonders macht.
Bester Podcast
"V 13. Die Terroranschläge in Paris" – dokumentarischer Hörspielpodcast nach der Gerichtsreportage von Emmanuel Carrère, Regie: Leonhard Koppelmann (SWR)
Leonhard Koppelmann
Freitag, 13. November 2015: Islamistische Terroristen richten ein Massaker in Paris an – in der Konzerthalle Bataclan, auf den Terrassen mehrerer Cafés und vor dem Stade de France. 131 Menschen sterben, mehr als 700 werden verletzt. Der Podcast von Leonhard Koppelmann basiert auf der gleichnamigen Gerichtsreportage des französischen Schriftstellers Emmanuel Carrère. Tag für Tag verfolgt er den Jahrhundertprozess, der sechs Jahre später im September 2021 beginnt, und dokumentiert ihn in Buchform. Der Titel steht für Vendredi 13 – Freitag, der 13.
Was lehrt uns "V13"?
Die Jury stellt in ihrer Begründung zu Beginn die Frage: "Lässt sich ein neun Monate dauerndes Mammut-Gerichtsverfahren zu einem der brutalsten Terroranschläge mit Würde in acht Podcast-Folgen nachzeichnen?" Souverän und berührend sei die Umsetzung von Regisseur Leonhard Koppelmann, so das Fazit. Er habe den Text akustisch brillant verdichtet und so beinahe plastisch erfahrbar gemacht. Unerträgliches Leid bekomme einen respektvollen Raum, fasst die Jury zusammen und bezeichnet den Podcast als "bedrückendes und beeindruckendes Mahnmal".
Was uns V 13 lehren könne, will Marija Bakker wissen. "Lehren vielleicht gar nichts", findet Regisseur Leonhard Koppelmann, "aber es schafft einen Raum, der uns vielleicht die Möglichkeit gibt, über die Ohnmacht und die Wut hinaus eine Haltung einzunehmen."
Die Litcologne ist eröffnet
Der Deutsche Hörbuchpreis hebt seit jeher die Stärken und Möglichkeiten des akustischen Mediums hervor. Er wird traditionell am Eröffnungsabend der Litcologne verliehen. Das internationale Literaturfest findet vom 5. bis 17. März in Köln statt.
Gerd Köster eröffnete während der Verleihungssendung das Literaturfestival Litcologne.
Gerd Köster eröffnete als "Special Guest" in der Sendung die Litcologne auf ganz originelle Weise. Er ist dem Festival seit der ersten Ausgabe verbunden und zum 23. Mal dabei, obwohl er, wie er schmunzelnd im Interview verrät, aus einem "freiwillig kulturfernen Haushalt" stamme.
Redaktion: Tobias Habig und Mireilla Zirpins