Miteinander reden in Zeiten der Polarisierung
Stand: 19.12.2024, 10:31 Uhr
Hitzige Debatten der vergangenen Jahre – Corona, Klima, Krieg – haben Gräben hinterlassen, Positionen sind verhärtet. Wie gehen wir damit um? Und wie gelingt es, trotz unterschiedlicher Meinungen im Dialog zu bleiben? In unserer Gesprächs-Reihe suchen wir Antworten.
Lieber nicht die Ukraine erwähnen, wenn Onkel Ulli da ist. Und ob Yalda wieder mit Corona anfängt? Wer an den Feiertagen auf Freunde und Familie trifft, hat oft im Hinterkopf, wie leicht Gespräche eskalieren können. Debatten der vergangenen Jahre haben Gräben hinterlassen, Positionen sind verhärtet.
Wie lässt sich gesellschaftlicher Austausch aufrechterhalten?
Wie gehen wir damit um? Bestimmte Fragen auszusparen, kann eine Lösung für Verwandtenbesuche sein. Aber als Gesellschaft müssen wir im Dialog bleiben. Wie sonst sollen wir auf schwierige Fragen Antworten finden, die ausreichend Akzeptanz finden?
Fünfteilige Serie in Politikum zum Jahreswechsel
Diskussionen ohne Lagerdenken – das ist generell der Ansatz in Politikum, dem Meinungspodcast von WDR 5. In einer fünfteiligen Serie vertiefen wir die Frage, wie sich gesellschaftlicher Austausch aufrechterhalten lässt.
Folge 1: Warum Demokratie offene Debatten braucht
Constantin Schreiber fordert: "Lasst uns offen reden!"
In der ersten Folge sprechen wir mit dem Autor, Journalisten und Tagesschau-Sprecher Constantin Schreiber über Dialogkultur im Allgemeinen. Schreiber fordert in seinem aktuellen Buch schon im Titel: "Lasst uns offen reden!" Denn unsere Debattenkultur sei nicht so offen, wie sie sein müsste. Und das bedeute letztendlich ein Risiko für unsere ohnehin schon gefährdete Demokratie. Wir müssten Debatte weniger als Wettkampf verstehen, findet Schreiber. Das Ziel müsse sein, dass die Vielfalt der Meinungen deutlich wird.
Dass der konstruktive Dialog, den wir uns wünschen, in der Praxis nicht immer so leicht umzusetzen ist, hat er selbst erlebt. In seinen Büchern und TV-Reportagen hat er sich kritisch mit Predigten und Lehrstoffen in Moscheen und Koranschulen auseinandergesetzt. Schreiber wurde daraufhin angefeindet, als "rassistisch" und "islamfeindlich" bezeichnet. Welche Konsequenzen hat er für sich gezogen und was bedeutet das für unsere Debattenkultur?
Folge 2: Nahost-Konflikt – Miteinander sprechen trotz verhärteter Fronten
Meron Mendel und Saba-Nur Cheema wollen Hass und Vorurteile abbauen
Mit dem jüdisch-muslimischen Paar Meron Mendel und Saba-Nur Cheema suchen wir nach Wegen, konstruktiv über den Nahost-Konflikt zu sprechen, der eine neue Eskalationsstufe erreicht und Deutschland mehr denn je polarisiert.
Cheema, Kind muslimischer pakistanischer Flüchtlinge, ist Politologin und Antirassismus-Trainerin. Mendel wuchs in einem Kibbuz auf, ist heute Professor für Soziale Arbeit und Leiter der Bildungsstätte Anne Frank.
Ihre unterschiedlichen familiären Hintergründe haben sie geprägt. Das Paar setzt sich seit langem gegen Rassismus und religiös begründeten Hass ein. Ihre Arbeit komme aus einer tiefen Verbundenheit mit Israel und mit den Palästinensern. Seit Jahren erleben sie die Kluft zwischen Juden und Muslimen, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch im privaten Umfeld. Sie wollen zu einem Perspektivwechsel beitragen: Wie können wir miteinander reden, um Hass und Vorurteile abzubauen?
Folge 3: Lässt sich das Spaltthema Corona durch Aufarbeitung noch entschärfen?
Ärztin Lisa Federle und Konfliktforscher Edgar Grande
Die Corona-Pandemie und vor allem die politischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus haben die Gesellschaft stark gespalten. Wie wichtig ist eine Aufarbeitung? Oder ist die Corona-Pandemie für die meisten inzwischen weit weg?
Lisa Federle, Haus- und Notärztin, Pandemiebeauftragte im Landkreis Tübingen und Bestsellerautorin, kritisiert die fehlende Corona-Aufarbeitung der Bundesregierung. In der Notlage musste schnell gehandelt werden. Inzwischen wäre aber genug Zeit zur Auswertung gewesen, was etwa Impf-Nebenwirkungen und -schäden betrifft – auch wenn klar ist, dass sich nicht alles zurückverfolgen und klären lässt.
Bei der Aufarbeitung gehe es nicht darum, politisch Verantwortliche an den Pranger zu stellen, so Politikwissenschaftler und Protestforscher Edgar Grande. Wenn keine Aufarbeitung stattfindet, verstärke das den Verdacht, dass etwas verheimlicht werden sollte und das sei eine enorme Gefahr für das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik.
Folge 4: Krieg in der Ukraine – Was bringen Kontakte nach Russland?
Vassili Golod, Ukraine-Korrespondent der ARD
Wie funktioniert Dialog vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges? Philosoph Alfred Nordmann und Vassili Golod, Leiter des ARD-Studios in Kiew, erzählen im Gespräch von ihren Erfahrungen. Nordmann pflegt weiterhin seine Kontakte zu russischen Kolleginnen und Kollegen und bemüht sich ganz bewusst darum, seine wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Fachleuten in Russland aufrechtzuerhalten. Er denkt dabei nicht zuletzt an die Zukunft nach dem Krieg: Woran kann ein neues Miteinander dann anknüpfen?
Vassili Golod kennt die Schwierigkeiten des Dialogs aus zwei Perspektiven: als Berichterstatter und als Mitglied einer Familie, die ukrainische und russische Zweige hat. Mit Nordmann diskutiert er darüber, unter welchen Bedingungen Austausch gelingen kann und wo seine Grenzen liegen.
Folge 5: Klima – Wie können wir über dieses aufgeheizte Thema reden?
Wie gelingt es, die oft verhärteten Fronten beim Klimaschutz in ein konstruktives Gespräch zu bringen? Darüber sprechen Annika Rittmann, Klimaschutz-Aktivistin und Sprecherin von Fridays for Future, und Norbert Weißmann, der viele Jahre in der Chemiebranche beschäftigt war und Mitautor eines Buches ist, das sich mit der öffentlichen Debatte um den Klimaschutz befasst.
Annika Rittmann vermisst in der Politik oft ehrliches Interesse und offenen Austausch
Annika Rittmann erlebt selbst, wie wert- und sinnvoll Dialog sein kann. Sie hat in Hamburg an einem Volksbegehren für mehr Klimaschutz mitgearbeitet und dabei auch ausgelotet, welche Schnittmengen sich mit Unternehmen und Gewerkschaften finden lassen. An einem berechenbaren Rahmen für die Reduktion von Treibhausgasen sei auch die Wirtschaft interessiert.
Das bestätigt Norbert Weißmann: Wenn Großunternehmen über Investitionen entscheiden, brauchen sie langfristige Perspektiven. Umso problematischer ist es aus seiner Sicht, dass sich die politische Linie im Klimaschutz gerade zu verschieben scheint. Die Politik sieht er auch in der Pflicht, wenn es um Sorgen in der Bevölkerung geht: Klimapolitik brauche unbedingt eine soziale Komponente, damit sich alle auf das Thema einlassen könnten.
Sagen Sie uns Ihre Meinung!
Wie stehen Sie zu diesen Debatten-Themen? Einfach an politikum@wdr.de schreiben oder eine Sprachnachricht an 0172 2530042 schicken.
Redaktion: Morten Kansteiner und Moritz Folk