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Konditionierte Reaktionen

Stand: 09.04.2018, 15:18 Uhr

Seit klar ist, dass die Amokfahrt von Münster keinen terroristischen Hintergrund hat, macht sich Erleichterung breit. Warum eigentlich?, fragt sich Peter Zudeick.

Von Peter Zudeick

Wir sind in einer perversen Situation. Kaum erreicht uns die Nachricht von einer außergewöhnlichen Mordtat, reagieren wir wie Tiere im Versuchskäfig. Wie von Konditionierungen gesteuert. Eine Reihe von Mitmenschen hofft offenbar inbrünstig auf eine Tat mit Migrationshintergrund, weil es ihnen politisch in den Kram passt. Das hämische „Wir schaffen das“ im Tweet der einschlägig bekannten Frau von Storch von der AfD sagt genau das: Seht ihr wohl, das kommt von Angela Merkels Flüchtlingspolitik.

Ohne Terror kein Brennpunkt

Auf der anderen Seite die anderen, vermutlich die Mehrheit der Bevölkerung, die inbrünstig hoffen, dass das alles nichts mit islamistischem Terror zu tun haben möge. Damit Hetzer und Hassredner nicht wieder Wasser auf ihre Mühlen bekommen. Offensichtlich ist es nicht mehr möglich, „normal“ auf ein solches Ereignis zu reagieren. Normal wäre: Entsetzen über die schreckliche Tat und Warten auf Aufklärung der Hintergründe.

Stattdessen vorauseilende Aufgeregtheit auch bei Kollegen. Die Online-Redaktion der „Rheinischen Post“ formulierte am Samstag schon kurz nach 16 Uhr: „Anschlag in Münster – drei Tote“. Als dann der terroristische Hintergrund immer unwahrscheinlicher wurde, formulierte man vorsichtiger. Am frühen Abend kündigte die ARD einen Brennpunkt an. Der dann nicht stattfand, ohne abgesagt zu werden. Die Anzahl der Opfer hatte sich nicht geändert, aber ohne Terror kein Brennpunkt. So was scheint auch zu unseren Konditionierungen zu gehören.

Erregunszirkus im Internet

Was bleibt? Ein Mann hat in seinem Leben zunächst Erfolg, dann scheitert er, stürzt ab, fühlt sich von allen verlassen, verraten, macht andere für sein Scheitern verantwortlich und nimmt, sozusagen aus Rache, andere mit in den Tod. Das ist das bekannte Tatprofil von Amokläufern. Relativ neu ist, dass ein solcher Täter sich eines Musters bedient, das von Terror-Anschlägen bekannt ist. Größtmögliche öffentliche Aufmerksamkeit, das mag das Kalkül gewesen sein.

Und schon schnappt bei Frau von Storch die Konditionierungsfalle wieder zu. „Ein Nachahmer islamischen Terrors schlägt zu“, twitterte sie gestern. Und: „Der Islam wird wieder zuschlagen. Die Frage ist nicht ob sondern wann.“ Das ist so schäbig und widerlich, dass man es kaum glauben mag. Vielleicht sollte man nicht nur Frau von Storch, sondern den ganzen Erregungszirkus im Internet einfach ignorieren. An unserer perversen Situation würde das freilich auch nichts ändern.

Redaktion: Gerda Leesing