Der Philosoph Björn Hayer
Der Schmerz hat viele Facetten: Er kann stechend akut sein oder dumpf pochend; er kann punktuell auftreten oder chronisch anhalten; er kann nicht nur körperliche Gründe haben, sondern auch psychische. Es gibt nicht den einen Schmerz, sondern viele verschiedene Variationen. Einen Schlüssel zu seinem Verständnis stellt zum Beispiel der Blick auf seine Folgen dar: Der Schmerz kann einen Schockmoment bewirken, der zum bewußten Handeln zwingt, um die Ursache zu beseitigen. Zugleich droht sich zu verlieren, wer von chronischem Schmerz heimgesucht wird. Auf gesellschaftlicher Ebene ist der Schmerz im Grunde seit Jahrtausenden ein zentrales Thema – zum Beispiel als Sockel der Religionen, insbesondere des Christentums. Über den Schmerz entfaltet sich so die Möglichkeit, metaphysischer Erkenntnis zu gewinnen. Auch in der Kunst ist der Schmerz ein zentrales Thema – etwa als Auslöser des künstlerischen Prozesses. Die hat dann möglicherweise auch therapeutisches Potential. Interessant ist, dass wir den Schmerz zwar kaum treffend beschreiben können, trotzdem aber instinktiv mitleiden, wenn wir den von Anderen wahrnehmen. Der Schmerz als Tor zur Gemeinschaft und als Basis für Empathie; die Wunde gilt vielen Philosophen als Sinnbild für eine Eintrittsstelle, also als Zugang zum Anderen. Nicht zuletzt, so Björn Hayer, ist der Schmerz ein “Lehrmeister für den Tod: Schmerz lehrt und, mit dem Absoluten und Unerklärlichen umzugehen, das Irrationale und Schicksalhafte zu akzeptieren. Zugleich müssen wir uns fragen, was es bedeutet, wenn der Schmerz in unserer Leistungs- und Optimierungsgesellschaft mit ihrem technisierten Gesundheitswesen tabuisiert und verdrängt wird. Geht damit auch die Empathie verloren?
Welche Bedeutung hat der Schmerz, und welche gesellschaftlichen Funktionen? Was genau ist das überhaupt, der Schmerz? Wie gehen Sie mit Ihren Schmerzen um?
Hörer:innen können mitdiskutieren unter 0800 5678 555 oder per Mail unter philo@wdr.de
Literaturhinweis: Björn Hayer: Sinn und Unheil. Zur Ästhetik des Schmerzes. Quintus Verlag, 2023.
Redaktion: Gundi Große und Moritz Folk
