Welches Gerechtigkeitsproblem sehen Sie in Erbschaften?
Welcher Teil eines Erbes steht der Allgemeinheit zu? Die Erbschaftssteuer ist umstritten. Und faktisch nur begrenzt wirksam. Sollte sie ganz wegfallen – oder im Gegenteil sogar viel höher sein? Moralphilosophisch gesehen, ist das eine Frage der Gerechtigkeit.
Der Philosoph Christian Neuhäuser
Je nach Schätzung, werden in Deutschland jährlich 250 bis 400 Milliarden Euro vererbt. Nur ungefähr 60 Milliarden Euro davon müssen versteuert werden; der Staat erhält knapp 10 Milliarden Erbschaftssteuer. Nicht so viel also. Weil es relativ hohe Freibeträge gibt. Und weil die Erbschaftssteuer regressiv ist; es fallen also bei höherem Erbe im Verhältnis weniger Steuern an. Ist das gerecht? "So wie es aktuell in Deutschland geregelt ist, ist das Konzept des Erbens ungerecht, weil es bestehende Ungerechtigkeiten in der Vermögensverteilung nicht nur aufrechterhält, sondern verstärkt. Das betrifft vor allem Erbschaften ab einer gewissen Größe", sagt der Philosoph Christian Neuhäuser.
Bei jeder Art von (hohem) Einkommen stelle sich die Frage: "Ist das bei mir gut aufgehoben, oder kann jemand anders es besser gebrauchen?" Bei Erbschaften komme hinzu, dass es sich um ein unverdientes Einkommen handele. In einer Gesellschaft, in der Einkommen durch Leistung einen hohen Stellenwert hat, stelle sich diese Frage in besonderem Maße, so Christian Neuhäuser: "Vermögen, für das man nichts getan hat, hemmungslos für die eigenen Luxusinteressen zu nutzen, während mit dem Geld die Grundbedürfnisse anderer Menschen erfüllt werden könnten, ist moralisch falsch."
Ein klarer Standpunkt – mit dem Christian Neuhäuser nicht alleine da steht und der auch nicht so neu ist: Schon der Philosoph John Stuart Mill, Vorreiter des Liberalismus, wies im 19. Jahrhundert auf das Problem der Vermögenskonzentration hin und entwickelte Konzepte der gerechteren Verteilung von Erbschaften. Brauchen wir so etwas, zumindest ab einer bestimmten Höhe, auch für die Generation der Erben?
Wann ist das Erben gerecht, wann nicht? Inwiefern können Erbschaften und auch Schenkungen ein moralisches Problem sein? Wie stehen Sie zur Frage des Erbens?
Hörer:innen können mitdiskutieren unter 0800 5678 555 oder per Mail unter philo@wdr.de.
Redaktion: Gundi Große
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