Buchcover: "Vatermal" von Necati Öziri

Lesefrüchte

"Vatermal" von Necati Öziri

Stand: 03.08.2023, 17:01 Uhr

Sich mit Lügen der Wahrheit nähern. Das ist die spannende Erzählstrategie im Debütroman des Dramatikers und Autors Necati Öziri. Darin klagt ein sterbender Sohn den abwesenden Vater an und befreit sich selbst.

Arda liegt im Krankenhaus. Organversagen. Er weiß nicht, wie lange er noch zu leben hat. In diesen Stunden wendet er sich an seinen Vater, den er nie kennengelernt hat. Der die Familie verlassen hat, noch bevor Arda geboren wurde, weshalb er als Staatenloser ohne Pass aufwuchs. Mitten im Ruhrgebiet. Arda hat den gleichen schwarzen Fleck unter dem linken Auge wie sein Vater – kein Muttermal, ein Vatermal also. Und weil er ein Zurückgelassener ist, nun Todgeweihter, schreibt er.

Vehement, passiv-aggressiv und doch bricht da eine Zartheit durch die Worte, die einen erschaudern lässt. Der Erzähler in Necati Öziris „Vatermal“ lügt, und doch ist jedes Wort wahr. Seine Lügen offenbart er und setzt immer wieder neu an. Diese Form des literarischen Stammelns ist vielleicht das Wahrhaftigste, was er noch hervorbringen kann. Das ist die Agenda des Buches. Die ist nicht neu, aber das Erzählte birgt eine Dringlichkeit, die Öziris Debütroman so besonders macht.

Die Leerstelle Ardas, der abwesende Vater, treibt den Roman an, wechselt aber die Perspektive. Dabei wechselt er stets die Perspektive. Mal geht es um Ardas Mutter, Ümran, oder um seine Schwester Aylin. Diese Passagen verdeutlichen den Druck, der auf der Familienkonstellation lastet, die ständigen Erniedrigungen, die sich in ihre Körper schreiben, ob auf dem Amt oder auf der Straße. Doch am eindrücklichsten sind die Szenen, die vom jungen Arda und seinen Freunden handeln, die sich ins Gedächtnis und Herz brennen, so als habe man es selbst erlebt. Ein Debütroman mit enormer Wucht und ganz eigenem Sound.

Eine Rezension von Corinne Orlowski

Literaturangaben:
Necati Öziri: Vatermal
Claassen Verlag, 304 Seiten, 25 Euro