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Buchcover: "Routen I." von Hans Jürgen von der Wense

Lesefrüchte

"Routen I." von Hans Jürgen von der Wense

Stand: 01.12.2023, 12:44 Uhr

Kosmische Erfahrungen in Ostwestfalen und Südniedersachsen? Niemand liebte die Welt wie Hans Jürgen von der Wense. Keiner rühmte sie schöner!

Alles begann mit einer Art Erweckungserlebnis, Anfang Mai 1932. Hans Jürgen von der Wense, 37, steigt in Bad Karlshafen an der Weser aus der Eisenbahn und geht wandern. Irgendwann erblickt er den Desenberg in der Warburger Börde: Eine pyramidenförmige Basaltkuppe, nur 343 Meter hoch, gekrönt von einer Burgruine.

Mit roter Tinte notiert Wense in sein Tagebuch: "Wende meines Lebens". Eine Übertreibung war das nicht. Auch wenn Wense ein Mann war, der wusste, wie man das eigene Leben und Schaffen mythisch überhöht. Wense blieb, ließ sich im nahen Kassel nieder, später in Göttingen, und begann zu wandern. 27.000 Kilometer legte Wense bis zu seinem Tod 1966 zurück, im Umkreis von kaum 100 Kilometern rund um Kassel.

Mit andern Worten: Er erschloss sich Südniedersachsen, das Sauerland, das Weserbergland, die nordhessischen Gebirge und den Harz. Brilon und Paderborn und Sankt Andreasberg waren Wense mythische Orte wie andern Rom und Theben. Sein Ziel: Die Vermessung der Welt.

Aus dem ursprünglich anvisierten Landschaftsführer wurde nichts, doch in Wenses Nachlass fanden sich Tausende Seiten Aufzeichnungen über seine Wanderungen, Dokumente aller Art, Briefe, Postkarten.

Der Germanist Reiner Niehoff hat all das gesichtet und jetzt zum Projekt "Routen" geformt. Der erste Band liegt vor, zwei weitere werden folgen: fabelhaft schön und aufwendig gestaltete Bücher, denen auch Reproduktionen jener Messtischkarten beiliegen, mit deren Hilfe Wense seine Wanderungen plante.

Wense verstand viel von Wetter und Geografie, von Geschichte und Geologie, von Literatur und Kunst und Botanik. All das hat betörende Spuren hinterlassen in seinen Landschafts- und Tourenbeschreibungen. Aber das Wichtigste, natürlich, ist etwas anderes.

Das Wichtigste sind Wenses Enthusiasmus und seine Gabe, diesen Enthusiasmus und die Liebe zur Welt in eine Sprache zu bringen, die Staunen macht und froh. Noch heute, beinah 60 Jahre nach dem Tod dieses Solitärs der deutschen Kunst- und Literaturgeschichte.

Eine Rezension von Uli Hufen

Literaturangaben:
Hans Jürgen von der Wense & Reiner Niehoff (Hg.): Routen I. Südniedersachsen Matthes & Seitz Berlin, 2023
434 Seiten, 48 Euro