Buchcover: "James" von Percival Everett

Buch der Woche

"James" von Percival Everett

Stand: 11.04.2024, 19:12 Uhr

Huckleberry Finn, aber ganz anders: Percival Everett erzählt einen amerikanischen Klassiker neu!

Die Idee ist gut, sie ist aber auch ziemlich naheliegend. Oder?

Wie wäre es, wenn man den größten, wichtigsten amerikanischen Roman des 19.Jahrhunderts ganz neu erzählt? Wenn man ihn gewissermaßen auf links dreht? Wie wäre es, wenn ein Roman, in dem es um das große Verbrechen der Sklaverei geht und um Rassismus, nicht von seinem weißen jugendlichen Helden erzählt wird? Sondern von dessen erwachsenem schwarzem Freund? Nicht von Huckleberry Finn, sondern von Jim, dem entflohenen Sklaven, der gemeinsam mit Huck auf dem Mississippi die Flucht ergreift?

Wie wäre das?

Und vor allem: wie macht man das? Und zwar so, dass es literarisch und historisch und sprachlich funktioniert und mehr ist als eine simple Fingerübung für Gymnasiasten?

Percival Everett, einer der renommiertesten und experimentierfreudigsten amerikanischen Schriftsteller und gleichzeitig seit Jahrzehnten Professor für Literatur an der Universität von Südkalifornien, hat Antworten auf diese Fragen gefunden, die verblüffen und begeistern. Das fängt bei einfachen Dingen an: Jim, der in Mark Twains Original "Nigger Jim" heißt, bevor das N-Wort 2011 durch "Sklave" ersetzt wurde, heißt bei Percival Everett James.

Und dieser James ist ein runder, vielschichtiger Charakter, viel mehr als bei Twain. Er ist nicht nur ein ehrlicher, mutiger Mann. Er ist ein Mann mit Humor und vor allem mit Bildung. Ein Mann, der denkt und plant und handelt. Er ist ein Mann, der über ein tiefes philosophisches Verständnis verfügt darüber was Sklaverei eigentlich ist und bedeutet. Und er ist ein Mann, der das seltsam langsame und simple Sklaven-Patois, in dem er bei Mark Twain spricht, in Wahrheit nur benutzt, um seine weißen Herren in Sicherheit zu wiegen. Schon die Kinder der Sklaven lernen eine entscheidende Lebensregel: "Je besser sie sich fühlen, umso sicherer sind wir".

Doch wirkliche Sicherheit kann es nicht geben für James, seine Frau und seine Tochter in den amerikanischen Südstaaten jener Jahre. James muss fliehen, weil er verkauft werden soll. Und so beginnt jene große Odyssee mit Huck Finn auf dem Mississippi, die schon Mark Twain beschrieb. Bei Everett geht es gewalttätiger zu und gleichzeitig philosophischer. Weniger romantisch und darum wohl wahrer. Und ein großes Geheimnis des Originals wird nebenbei auch noch gelüftet.

Percival Everett ist ein großes Wagnis eingegangen mit seiner Version des amerikanischen Klassikers. Und er hat groß gewonnen!

Eine Rezension von Uli Hufen

Literaturangaben:
Percival Everett: James
Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl
Hanser Verlag, 336 Seiten, 26 Euro