Die Kanadierin Rachel Cusk schreibt seit den 1990er Jahren Romane. Der Erfolg aber kam erst, als sie sie aufhörte, Figuren zu erfinden. Stattdessen ließ sie in der gefeierten Outline-Trilogie einfach eine Schriftstellerin in mittleren Jahren wie sie selbst, das wiedergeben, was Menschen erzählten, die sie im Flugzeug oder auf Kongressen traf. Das echte Leben, scheinbar unbearbeitet aufs Papier gebracht. Themen wie Ehe und Mutterschaft, Cusks feministisches Bewusstsein, die Einblicke in das eigene Sein trafen einen Nerv. Cusk stieg neben Autoren wie Karl Ove Knausgård in den Olymp der Autofiktion auf.
Mancher Fan wird sich nun erwartungsvoll auf den neuen Roman "Parade" stürzen und dann wundern. Bis eine namenlose Ich-Erzählerin auftritt, dauert es etwas. Die meiste Zeit geht es um Werk und Leben einer Reihe von Künstlern, ihrer Partner und Beziehung zur Welt. Egal ob Mann oder Frau, alle werden sie nur G genannt.
Der Künstler G, zum Bespiel, beginnt ab einem gewissen Zeitpunkt alles auf dem Kopf zu malen. "Das Gefühl, dass alles richtig erschien und doch grundlegend falsch war" erkennt seine Frau sofort wieder. "Dies war ihre Befindlichkeit, die Befindlichkeit ihres Geschlechts", heißt es klarsichtig.
Die Malerin G aus dem 19. Jahrhundert porträtiert sich selbst hochschwanger und stirbt im Kindbett. Die Künstlerin G kreiert Bilder, die verstören. Von ihrem zukünftigen Mann fühlt sie sich angezogen, weil er ihre Kunst nicht mag. Dass sie eine Tochter bekommt, wertet sie als Scheitern. Da ist sie also doch, die starke Stimme der Erzählinstanz, wie wir sie von Cusk kennen. Allerdings weiß man nicht immer, ob sie gängige Diskurse über Kunst parodiert, oder nur kühl und distanziert zum Beispiel den weiblichen Hang zur Selbstabwertung offenlegt.
Immer geht es um das vorbelastete Verhältnis zwischen Mann und Frau sowie Kunst und Geschlecht. Einer der Künstler namens G ist ein Regisseur, der in seinen Filmen auf jegliche Kameraführung verzichtet. Die Zuschauer reagierten mit Wut, heißt es im Roman. "Von einem Geschichtenerzähler erwarteten sie, dass er seine Kunstfertigkeit und Kontrolle bewies, indem er die verwirrende Uneindeutigkeit der Wirklichkeit auflöste, statt sie noch zu vertiefen."
In "Parade" finden sich viele treffende Sätze, zum Beispiel über die Natur der Liebe und das, was bleibt, wenn ein Elternteil stirbt. Insgesamt lässt Rachel Cusk mit diesem Antiroman, der nur stellenweise von der Erzählstimme der Kunstexpertin zusammengehalten wird, die Leser etwas ratlos und vor allem nachdenklich zurück. Was letztlich auch eine Aufgabe von Kunst ist.
Eine Rezension von Mareike Ilsemann
Literaturangaben:
Rachel Cusk: Parade
Aus dem Englischen von Eva Bonné
Suhrkamp Verlag, 2024
171 Seiten, 25 Euro