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Martin Mandler über "Kleiner Vogel Glück"

Autor im Gespräch

Martin Mandler über "Kleiner Vogel Glück"

Stand: 15.09.2023, 11:56 Uhr

Die Geschichte des Tiroler Bergbauernsohn Hans, der im ersten Weltkrieg an der Dolomiten-Front gegen die Italiener kämpfen muss, erzählt vom unmenschlichen Krieg und vom Glück in vielen Gestalten.

Und erzählt wird sie von einem souveränen Erzähler: Wie der junge Hans hoch oben auf dem Schneehang über die italienischen Soldaten nachdenkt, die gegenüber am Berg in Stellung liegen und vielleicht sogar aus dem Nachbardorf kommen. Und weil die Sonne scheint und ihm das elende Kriege-Führen der Großkopferten immer absurder vorkommt, wagt er sich weiter auf das Schneefeld heraus, fast bis zum Rand … und da passiert es.

Doch der Erzähler steigt in das weite Panorama zu einem späteren Zeitpunkt ein und ermuntert die Leser, sich die forsche Katharina vorzustellen, die 1955 auf einer Alm-Hütte nahe der italienischen Grenze erscheint und den Männern den Kopf verdreht - nur nicht den beiden Alten in der Ecke, die sich dort Jahr für Jahr still besaufen und nur manchmal 'tutti fratelli' rufen.

Wie Trabanten umkreisen neun Geschichten von ungewöhnlichen Ereignissen die allmähliche Entwicklung der Kerngeschichte: Hans auf seinem gleißenden Schneefeld - dem Kristallisationspunkt. Glück im Unglück oder umgekehrt haben sie alle, weil sich der kleine Vogel Glück mal hierhin, mal dorthin setzt, wie es in Österreich heißt.

Als Hans sich auf dem verschneiten Grat an die Kindheit und das einfache Leben erinnert, wird ihm bewusst, wie verdreht das Leben im Krieg ist, und er scheint den Schrecken buchstäblich zu durchbrechen. Leicht und voll erzählerischer Energie spricht Martin Mandler in seinem dritten Roman mit ironischer Fabulierlust die Leser direkt an.

Da fällt jemand vom Kirchdach auf das frische Grab eines Altnazis und bleibt unversehrt; im Brasilienurlaub wird eine Familie im Auto beschossen wie im Agentenfilm und kommt davon; und ob Hans oder ein anderer Soldat zum Kugelengel wird, entscheidet das Schicksal.

Dass der Krieg menschenverachtend ist und das Glück sich in skurrilen Episoden zeigt, beides führt Mandler spannend und empathisch im Erleben seiner Figuren vor. Das Glück ist ein Vogel, er flattert weiter, strahlt hell und luzide wie der Text, der mutig und ungebrochen vom schlicht Menschlichen erzählt.

Rezension von Bettina Hesse

Martin Mandler über "Kleiner Vogel Glück"

WDR 5 Bücher - Autoren im Gespräch 16.09.2023 10:04 Min. Verfügbar bis 14.09.2024 WDR 5


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Literaturangaben:
Martin Mandler: Kleiner Vogel Glück
Elsinor Verlag, 2023
188 Seiten, 19 Euro