Autorin im Gespräch
Elisabeth Bronfen über "Händler der Geheimnisse"
Stand: 03.11.2023, 14:33 Uhr
Elisabeth Bronfen verwebt in "Händler der Geheimnisse" eine Spionagestory rund um Entnazifizierung und NS-Raubkunst mit einem jüdisch-amerikanisch-deutschen Familiendrama und spürt dabei der geheimnisvollen Kraft des Schweigens nach.
Frühling 1995, kurz vor Ostern, beziehungsweise Pessach. Die Freundinnen Eva und Sam haben sich für ein Wochenende am bayrischen Schliersee zurückgezogen, um ihr "Shakespeare Projekt" voranzubringen, sie wollen Geheimnisse und Verschwörungen bei Shakespeare ergründen, es geht um "die Lust, Dinge zu verschweigen".
Plötzlich klingelt das Telefon und eine Art Live-Verschwörung fädelt sich in die Geschichte ein. Evas Vater, George Bromfield, ein jüdisch-amerikanischer Kriegsveteran, liegt im Krankenhaus in New York und stirbt kurz darauf unter mysteriösen Umständen. Eva und ihr Bruder Max, vermuten einen Mord und die neue Frau des Vaters als Täterin.
Sie hatte die frühere Familie im Ungewissen über den Gesundheitszustand des Vaters gelassen, sogar ein Besuchsverbot ausgesprochen. Im Krankenhaus war man verwundert, weil lebensrettende Maßnahmen abgelehnt wurden. Eva, die gerade am Anfang ihrer vielversprechenden Universitätskarriere steht, fliegt für mehrere Monate nach New York, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Ihre Recherche führt immer tiefer in frühe Familiengeheimnisse, aber auch zu versteckten FBI-Akten. Wer war Evas Vater, warum wollte er als junger Anwalt so dringend ins Nachkriegsdeutschland zurück? Und welche Bedeutung hat das Familien-Gemälde, auf dem alle wie Statisten wirken, bis auf den Vater? 50 Jahre nach dem 2. Weltkrieg scheinen sich alte Geister zu erheben, ganz wie der Geist-Vater im Hamlet.
Da Elisabeth Bronfen nicht nur Kulturwissenschaftlerin und feministische Vordenkerin, sondern auch leidenschaftlichen Köchin ist, kann man diesen Roman auch wie ein Menü lesen.
Hauptzutat ist die komplexe, gut durchgezogene Familiengeschichte gespickt mit Geheimnissen aller Art, historisch-kriminalistisch arrangiert und gewürzt mit dringlicher Neugier und scharfsinnigen Analysen. Dazu ein Wein, der den Geist Shakespeares weckt, und als Dessert ein Soufflee aus Ungewissem, das dennoch den Magen besänftigt.
Auch wenn die Figuren zunächst distanziert wirken und die Dialoge sehr detailfreudig inszeniert sind, entwickelt die Geschichte einen enormen Sog und die Fragen, die darin verhandelt werden, wirken weit über das Buch hinaus. Dieser intensive Debütroman schmeckt definitiv nach "mehr davon".
Eine Rezension von Marija Bakker
Literaturangaben:
Elisabeth Bronfen: Händler der Geheimnisse
Limmat Verlag, 2023
320 Seiten, 28 Euro