Die 1943 in Carlow, Mecklenburg, geborene Doris Runge ist eine bedeutende Lyrikerin der Bundesrepublik. Sie hat etliche Gedichtbände veröffentlicht und einige renommierte Literaturpreise erhalten, darunter 1985 den Friedrich-Hebbel-Preis und 1997den Friedrich-Hölderlin-Preis.
Ein Thema in der Lyrik von Doris Runge war immer das vielleicht älteste überhaupt in der Dichtung: Die Liebe in all ihren Aggregatzuständen. Über das Verliebtsein bis zu dem Punkt, (laut WHO maximal nach 24 bis 36 Monaten), an dem das menschliche Gehirn diesen sensorischen "Rauschzustand" beendet und darüber hinaus, hat Doris Runge so ziemlich alle dem Rezensenten bekannten Stadien dieser komplizierten, meistens zwischenmenschlichen Interaktion in Gedichten beschrieben.
Jetzt kann man also die Liebeslyrik der Doris Runge aus 40 Jahren komprimiert in einem Band lesen, eingeteilt in Kapitel wie "körbe voll himmel" oder "lust am verderben" oder "schwindelerregende höhen". In knappen, interpunktionslosen Gedichten stellt Doris Runge mit dem Stilmittel der Auslassung Konnotationen und Assoziationen her, die verschiedene Verständnisebenen zulassen. Da heißt es, "in jedem baum baut / fleisch ein nest / komm liebster lüge / halt mich fest" oder in "pas de deux" aus dem gleichnamigen Kapitel, "wechsel / Schritt und / vor und / rück und vor / und drehn / paar verschwindet / bild bleibt stehn." Das ist gut.
Der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering hat im Nachwortwort zu "von liebe viel" geschrieben: "Wer diese Gedichte liest, wer ihren Gestalten nachgehen will, muss wie sie bereit sein den Stein zu wälzen, den uralten und immer noch scharfkantigen Brocken, durch Feuer und Eis. Das Glück, das sie unbeirrt und unbelehrbar verfolgen, ist das des Sisyphos."
Sisyphos hin und Tantalos her, die Liebeslyrik von Doris Runge ist substanziell, fokussiert und konzis. Und das will was heißen bei dem Thema.
Eine Rezension von Matthias Ehlers
Literaturangaben:
Doris Runge: von liebe viel. Gedichte
Herausgegeben von Jörn van Hall
Mit einem Nachwort von Heinrich Detering
Wallstein Verlag, 2023
160 Seiten, 22 Euro