Als Stephan Hermlin nach dem 2. Weltkrieg in die noch nicht gegründete Bundesrepublik Deutschland zurückkehrte, um dann als überzeugter Kommunist in die auch noch nicht gegründete DDR zu übersiedeln, wurde der vom NS-Regime rassisch und politisch Verfolgte dort zu so etwas wie einem Mediator von Literatur aus dem Ausland. Vor allem aus dem französisch- und englischsprachigen Literaturraum des Westens. Das und anderes ist dem Nachwort von Heinrich Detering zu entnehmen, ein Nachwort, das sehr viel Erhellendes zur Entstehung und Einordung des Bandes "Auch ich bin Amerika" bereithält.
1948 kam "Auch ich bin Amerika" heraus, und wenn man sich vor Augen führt, in welcher ökonomischen und sozio-kulturellen Situation sich das besiegte Deutschland befand, kann man sich nur fragen: Hatte der Hermlin nichts anderes zu tun? Anscheinend nicht und das war gut so, denn auf diese Weise kam die erste Anthologie schwarzer Lyrik aus den USA unters Volk. Erst ein paar Jahre später, 1954, folgte im Westen etwas Vergleichbares, nämlich die von Jan Heinz Jahn herausgegebene epochale Lyrik-Sammlung "Schwarzer Orpheus. Moderne Dichtung afrikanischer Völker beider Hemisphären" mit Gedichten afrikanischer und afroamerikanischer Poeten. Das der Vollständigkeit halber.
Stephan Hermlin jedenfalls wählte für "Auch ich bin Amerika" 18 Dichterinnen und Dichter aus, die sich trotz Segregation und eklatanter Ungleichbehandlung in den USA einen Namen machen konnten. Stephan Hermlin übersetzte sie und versah die Buchausgabe auch mit einem kurzen Vorwort. In diesem Vorwort ist die Rede von "Negerdichtung", ein Begriff, der sich heute überlebt hat. Und das natürlich zu Recht.
The Times They Are A-Changing. Damals aber entsprach diese Begrifflichkeit schlicht der Konvention, wenn von schwarzer Lyrik die Rede war. Es steckt nicht in allem Rassismus, auch wenn‘s oben drauf steht. Nebenbei bemerkt, das Wort „Negritude“ schufen die großen schwarzen Dichter Léopold Sédar Senghor und Aimé Césaire als Bezeichnung für ein politisches und literarisches Movement, das sich selbstbewusst gegen die Vorherrschaft der weißen Kultur-Eliten stellte.
Es wäre an dieser Stelle zu viel, alle 18 herausragenden Dichterinnen und Dichter zu würdigen und zu feiern, die Stephan Hermlin für diesen Band ausgewählt und übersetzt hat. Ein paar Worte aber zu dem Gedicht "Rede" von Robert E. Hayden. Es ist ein kluges Gedicht mit einer politischen Absicht. Da sollte man eigentlich vorsichtig sein, weil politische Gedichte selten gelungen sind. Von großen Ausnahmen mal abgesehen, wie Heinrich Heine, Bertolt Brecht, Bob Dylan und einigen wenigen anderen.
Anyway, in dem Gedicht "Rede" von Robert E. Hayden kommt das Wort "Nigger" vor, nämlich als der Autor den üblichen weißen Rassisten zitiert, den er gehört hat, als er sagte, "Dreckige Nigger und weißer Abfall". Kein Mensch sollte hier auf die Idee kommen, dass wir es mit einem rassistischen Autoren zu tun haben, bloß weil dieses Wort auftaucht. Dieses Wort in seiner Drastik braucht der Autor für seine Botschaft, genauso wie die Bezeichnungen "White Trash", weißer Abfall.
Beide spricht Hayden in seinem Gedicht an, als er sagt: "Die gleiche Stimme sprach sie." Es heißt nicht viel mehr als: Es ist die gleiche Stimme der gleichen Klasse, die auf euch herabblickt. Also seid vorsichtig, lasst euch nicht gegeneinander ausspielen, denkt nach, unten auf der Skala zu sein, hat nichts mit Hautfarbe zu tun, aber der weißen Elite kommt das sehr entgegen, wenn der "White Trash" seinen Hauptfeind im Schwarzen sieht. Stimmt und gilt nach wie vor, fiel dem Rezensenten dazu ein.
"Auch ich bin Amerika" ist ein äußerst lesenswertes Werk, das einen guten und mehr als interessanten Eindruck von der schwarzen Lyrik der USA in der ersten Hälfte der 20. Jahrhunderts vermittelt. Sollte man in jedem Fall auf seinem schwarzen Zettel haben.
Eine Rezension von Matthias Ehlers
Literaturangaben:
Auch ich bin Amerika. Lyrik Schwarzer Dichterinnen und Dichter
Zweisprachige Ausgabe
1948 ausgewählt und übertragen von Stephan Hermlin
Mit einem Nachwort von Heinrich Detering
Im Auftrag der Wüstenrot Stiftung hrsg. von Eva Tanita Kraaz und Kai Sina
Wallstein Verlag, 2024
176 Seiten, 25 Euro