Live hören
WDR 3 Film-Empfehlungen mit Andrea Burtz
Kim Gordon & Kathleen Hanna

Dead Men don´t rape? Oder: Nichts Schlechtes über Tote?

Steve Albini revisited. Wiederauflage? Canceln? Revision? Nach dem Tod des gefeierten US-Musikers kursieren Tagebücher, in denen er sich zu seinem Faible für Kinderpornografie bekennt. Was tun? Und was ist mit dem Namen seiner Band: Rapeman?

Vor zwei Wochen gab es hier eine Sendung zum Tod des US-Musikers Steve Albini, der mit 61 an einem Herzinfarkt gestorben war. Sie enthielt einige Fragen und Zweifel, war keine reine Feier eines genialen Musikers. Sondern angelegt als Würdigung mit gemischten Gefühlen und Statements von Leuten, die ein mehr oder weniger ambivalentes Verhältnis zu Albini haben/hatten. Als die Sendung fertig war, erreichte mich ein Text über Albinis Faible für Kinderpornografie.

Darin wird ein Tourtagebuch Albinis aus dem Jahr 1988 zitiert, damals abgedruckt in dem Punk-Fanzine Forced Exposure. Da spricht er von seiner voyeuristischen Erregung beim Betrachten kinderpornographischer Szenen. Und redet sich das schön: „Sie sind Kinder. Kinder spielen gerne mit ihren eigenen Geschlechtsteilen und denen anderer Menschen. Und hier werden sie dabei fotografiert.“

Aus schwer erklärbaren Gründen haben diese Aussagen des damals schon gefeierten, bekannten Albini 1988 keinen Skandal ausgelöst. Hätte ich davon gewußt, die Sendung zu seinem Tod wäre anders ausgefallen. Oder ganz ausgefallen. Aber ignorieren oder den Toten totschweigen ist auch keine Lösung. Fragen bleiben, neue kommen dazu: Hat Albini sich damals – in den Achtzigern – als praktizierender Pädosexist geoutet? Oder war das eine punky Provogeste, ein ausgestreckter Mittelfinger für die schweigende (Doppel-)Moral Majority, die heimlich Pornos konsumiert und nach außen die Fassade des braven Bürgers wahrt? Albini war kein Einzelfall. Was ist mit den Gewaltfantasien und -Darstellungen gerade in der US-amerikanischen Punk- und Hardcore-Szene? Den ironisch bis sarkastisch gefärbten Hymnen auf Massenmörder, dem comichaft drastisch überzeichneten Sexismus bei Stars wie Frank Zappa, Kiss oder den Beastie Boys. Wo laufen die Grenzen? Zwischen Transgression in der Kunst und Transgression im Leben? Zwischen Werk und Autor? Zwischen Künstler und Täter (Lass´ uns nicht von Rammstein reden…)? Und dann, beim Albini-Recherchieren, stößt man auf den folgenden Satz einer unbekannten Verehrerin des größten Popstars seiner Zeit: “I love Michael Jackson, but this song hits different now that he’s a pedophile.” Es ist nicht überliefert, welcher Song hier gemeint ist, aber es gibt einige in Jacksons Repertoire die different hitten, die man anders hören kann oder muss, wenn man seine Pädo-Geschichte kennt. Schon die Titel der Hits: »P. Y. T. (Pretty Young Thing)«: Wer ist das schöne junge Ding? Wie jung ist das schöne Ding? Was tut Jackson mit dem schönen jungen Ding? »Human Nature«: Was ist die menschliche Natur? Was ist wider die menschliche Natur? »Man in the Mirror«: Wer ist der Mann im Spiegel? Kann Michael noch guten Gewissens in den Spiegel schauen? »Blood on the Dance Floor«: In der HBO-Doku »Leaving Neverland« erzählt Wade Robson, als Kind eines der (mutmaßlichen) Opfer Jacksons, vom Blut in seiner Unterhose, nachdem dieser versucht habe, ihn anal zu penetrieren. »Smooth Criminal«: Wer ist der sanfte Kriminelle? Welche Verbrechen hat er begangen? »Remember the Time«: Erinnerst du dich an deine Kindheit, die Zeit der Unschuld? Oder war die Kindheit gar nicht unschuldig? »In the Closet«: Closet heißt Toilette, Wandschrank oder Geheimzimmer. Out of the Closet steht für Coming-out. In »Leaving Neverland« behauptet eine Hausangestellte, Jackson habe in einem »closet in the closet« geheime Porno-Fotos aufbewahrt. Und immer wieder Kinder: »Childhood (Theme from ›Free Willy‹)«, »Heal the world, save the children« …

Gute Musik von bösen Menschen? Das war schon Thema bei Ex&Pop im Mai.

Erledigt ist das Thema damit nicht. Deshalb heute Albini revisited ohne Albinimusik. Mit Sonja Eismann, der Gründerin des popfeministischen Missy-Magazins verdanken wir den Hinweis auf die Autobiografie von Kathleen Hanna. Da erzählt die Pionierin der Riot Grrrl-Bewegung von einer unangenehmen Begegnung mit Steve Albini. Nichts Schlechtes über Tote? Wenn´s so einfach wäre. Dead Men don´t rape? (Seven Year Itch, Delilah Bon, Dimmu Borgir). Wenn´s so einfach wäre…

Dead Men don´t rape? Oder: Nichts Schlechtes über Tote?

WDR 3 open: Ex & Pop 04.06.2024 01:00:17 Std. Verfügbar bis 05.06.2025 WDR 3


Dry | 3:24
P.J.Harvey                                      

What´s ya take on Cassavetes | 2:23
Le Tigre                              

Rebel Girl | 2:34
Bikini Kill                             

Hot Topic | 3:19      
Le Tigre                              

Sexy Sadie | 2:55
The Beatles                        

Death Valley 69 | 5:52
Sonic Youth                                    

Dead Men Don't Rape | 2:42         
7 Year Itch              

Dead Men Don't Rape | 3:25         
Delilah Bon             

Dead Men Don't Rape | 2:03         
Dimmu Borgir          

I´m a man | 4:35     
Kim Gordon                                    

Moderation: Klaus Walter
Redaktion: Markus Heuger