Zum 100. Todestag von Franz Kafka am 3.6.2024 - Im Rahmen der Podcastreihe "Kafkas Kosmos" in der ARD Audiothek

"Erzählungen" von Franz Kafka

Stand: 02.05.2024, 18:45 Uhr

Wer war Franz Kafka, der am 3. Juni 1924 an Tuberkulose starb? Was trieb ihn an? Das versuchen rund um den 100. Todestag mehrere Bücher, Filme und eine Fernsehserie zu ergründen. Vielfältige Antworten geben seine kürzeren Texte.

Wiederkehrende Elemente in Kafkas Erzählungen und Kurzprosastücken sind Figuren, die nicht recht ins Gefüge der Welt hineinpassen, ein Unwohlsein gegenüber allzu großer Gewissheit, die Unfassbarkeit der Dinge, sobald man genauer hinschaut. Die Texte zeigen auch: Kafka begegnet all den empfundenen Widrigkeiten immer wieder mit Witz, Originalität und hintergründigem Humor. Als Teil einer Podcastreihe der ARD veröffentlicht der WDR acht Erzählungen zum Hören, gelesen von Bodo Primus.

"Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt"

1920 erschien der Erzählband "Ein Landarzt". Die Titelgeschichte gilt mit ihren traumlogischen Bildern als eine von Kafkas rätselhaftesten. Ein nächtlicher Notruf stellt darin das Leben eines Arztes auf den Kopf.

Auch einige sehr kurze Prosastücke sind in dem Band enthalten: "Auf der Galerie" gehört zu einer Reihe von Texten, in denen Kafka die Schaustellerei als Lebens- und Schreibmetapher verwendet.

"Ein Besuch im Bergwerk" aus dem Jahr 1917 zeugt von der genauen Beobachtungsgabe Franz Kafkas, der als Versicherungsjurist immer wieder mit Arbeitsstätten und -unfällen zu tun hatte: Bergleute beobachten staunend eine Abordnung feiner Ingenieursherrschaften, die für Vermessungsarbeiten in ihr Bergwerk kommen und sich dabei äußerst skurril verhalten.

Laut einer verbreiteten Deutung erzählt Kafka in "Ein Bericht für eine Akademie" ironisch gebrochen eine Geschichte jüdischer Assimilation in einer nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft. Der Schimpanse Rotpeter berichtet einigen “hohen Herren” von seiner Gefangennahme während einer Expedition und von seiner anschließenden Menschwerdung als einziger Ausweg aus dem Käfig. Man kann im Affen Rotpeter auch Kafka selbst erkennen, der oft das Gefühl hatte, er müsse sich unter den Anforderungen von Familie und Gesellschaft verbiegen und sein Wesen verleugnen.

Der Dorflehrer und der Riesenmaulwurf

Die zu Lebzeiten unveröffentlichte Erzählung "Der Dorfschullehrer" handelt vom Auftauchen eines riesenhaften Maulwurfs in einer ländlichen Gegend. Der Dorflehrer verfasst einen Forschungsbericht und wird dafür von Wissenschaftlern verlacht. Ein Kaufmann aus der Stadt fühlt sich zur Ehrenrettung des alten Mannes berufen, macht aber durch seine Nachforschungen alles nur noch schlimmer.

Immer wieder hat Kafka sich mit der antiken Mythologie beschäftigt, hat bekannte Sagen umgeschrieben und demontiert. In "Poseidon" porträtiert er den Meeresgott als unglücklichen Bürokraten, der vor lauter kleinteiligen Buchhaltungsaufgaben zu nichts kommt und noch nicht einmal sein eigenes Reich bereist hat. In "Das Schweigen der Sirenen" liest Kafka die Geschichte vom Sirenengesang aus der Odyssee gegen den Strich.

Abrechnung mit dem Künstlerleben und der Vermieterin

Eine bittere Lebensbilanz zieht der todkranke Kafka 1924 mit der Textauswahl für seinen letzten Erzählband "Ein Hungerkünstler". Die Betrachtung "Eine kleine Frau" entstand Ende 1923, als Kafka mit seiner letzten Liebe Dora Diamant in einer kleinen, kalten Berliner Mietwohnung lebte. Ein Geschäftsmann grübelt darin über eine Frau nach, die in ihrer Empörung völlig auf ihn fixiert scheint. Die Geschichte handelt nach Kafkas Angaben von seiner Vermieterin Frau Herrmann. Die Forschung sieht in der ungnädig urteilenden Person auch die Anforderungen der Literatur personifiziert, vor denen Kafka zu versagen glaubte.

Alle acht Erzählungen gibt es neben zahlreichen weiteren Texten von Franz Kafka ein Jahr lang hier zum Nachhören:

Produktion: WDR 2024, WDR 2009 ("Ein Landarzt"), HR 1997 ("Eine kleine Frau")
Sprecher: Bodo Primus
Regie: Uta Reitz
Redaktion: Stefanie Laaser