13.04.2018 – Alexander von Zemlinsky "Der Zwerg" an der Deutschen Oper Berlin
Stand: 13.04.2019, 13:50 Uhr
Für Tobias Kratzer ist in seiner Inszenierung von Alexander von Zemlinsky Oper „Der Zwerg“ an der Deutschen Oper Berlin das psychologische Operntheater noch nicht zu Ende. Viele Regisseure tendieren heute ja eher zu opulenten Ausstattungen, zum offenen Eklektizismus der Stile, zu historischen Annotationen, zum boulevardesken Spiel. Zu beobachten etwa an den letzten beiden Neuinszenierungen in Bayreuth, Barrie Koskys „Meistersinger“-Studie über Wagners latente oder offene Judenfeindlichkeit, oder Neo Rauchs neoromantischer Bildschwülstigkeit im „Lohengrin“. Zu beobachten aber auch an den Stadttheaterbühnen landauf, landab, z. B. in Bonn, wenn die Uraufführung von Jonathan Doves Oper „Marx in London“ von Jürgen R. Weber in ein komödiantisch Trashtheater mit historischen Anklängen gekleidet wird oder der „Freischütz“ in Essen von Tatjana Gürbaca wie eine Fahrt durch die Geisterbahn inszeniert wird. Kratzer hat dagegen das Stück stringent zu einer psychologischen Fallstudie über das Thema Selbst- und Fremdwahrnehmung ausgestaltet.
Das fängt schon mit der als Prolog vorangestellten „Begleitmusik zu einer Lichtspielscene“ von Arnold Schönberg an, der ja Schüler von Zemlinsky war. Hier sieht man in einer Rückblende die biographische Situation, die Zemlinsky zu seiner Oper „Der Zwerg“ veranlasst hat, nämlich den Kompositionsunterricht, den er Alma Schindler erteilt, woraus sich eine Liebensbeziehung entwickelt, bis sie ihn zurückweist und Gustav Mahler heiratet, Zemlinsky Lebenstrauma. Dieser Prolog spielt im bürgerlichen Fin de siècle–Ambiente als reale Stummfilmszene, wobei der Klavierpart auf der Bühne von den beiden Protagonisten gespielt wird. Die avancierte Musik Schönbergs wird so sinnigerweise auf ihre spätromantischen Ingredienzen gepolt.
Die Hauptoper ist für Kratzer ein Künstlerdrama. Der Zwerg, der im Libretto ein Sänger ist, tritt hier in Gestalt von David Butt Philip tatsächlich als Konzerttenor auf in einem weißen, modernen Konzertsaal, einer Art „privater Elbphilharmonie“, wie der Regisseur sagt. Sein Alter ego ist der kleinwüchsige Schauspieler Mick Morris Mehnert in der Rolle eines Dirigenten, der die Partitur, die schon im Vorspiel seine, Zemlinskys Künstleridentität markiert hat, hier wie einen Schatz mitbringt.
Mick Morris Mehnert in Alexander von Zemlinsky "Der Zwerg"
Der Zwerg selbst ist laut Libretto das lebendige Geschenk für die Infantin, hier wohl eher eine musikalische Privataufführung, mit der die Infantin und ihre Zofen aber nichts anfangen können. Es kommt sogar zum Tumult, und die Orchesterinstrumente gehen zu Bruch. Und wie schon im Vorspiel entwickelt der Sänger/Dirigent eine tiefe Liebe zur Infantin, auf die sie spielerisch kokett antwortet.
In Zemlinksys Stück geht es aber gar nicht so sehr um das Spiel um Annährung und Ablehnung, sondern um die langen Selbstdarstellungen des Zwergs, die dieser in heldentenoraler Emphase vorträgt, wobei David Butt Philip diese in einer merkwürdigen Verhaltenheit vorträgt. Dagegen spielt sie Mick Morris Mehnert in anrührender Weise mit sehnsüchtiger Seligkeit. Dabei kommt ihm seine wirkliche Kleinwüchsigkeit sehr zu Hilfe.
Bis zu dem Punkt, an dem die Selbsterkenntnis des Künstlers beginnt. Der Tenor steht vor einer dunklen Spiegelwand, wo er merkt, dass sein Selbstbild ihn täuschte: „Du bist es, feindliches Bild? Geh fort von mir!“ Die Spiegelwand wird hochgezogen und der Tenor kämpft nun – wieder im Konzertsaal – gegen den Zwerg, während sie sich vorher die ganze Zeit gedoubelt hatten. Tobias Kratzer treibt so alles Groteske aus dem Stück. Es geht nicht länger um die Hässlichkeit der Erscheinung, es geht eher um die Hässlichkeit der tenoralen Pose und um die Auflösung des Panzers, als die sich die Künstlerpose erweist. Die Infantin, von Elena Tsallagova in mädchenhafter Zurückhaltung gespielt und auch so gesungen, ist dabei nicht das narzisstische böse Biest, sondern agiert wie ein den Prozess der selbstzerstörerischen Selbstfindung anstoßender Katalysator.
Das Orchester spielt unter seinem GMD Donald Runnicles ziemlich flächig und pauschal. Man hätte sich mehr grelle Töne einerseits und mehr großes Orchesterpathos andererseits gewünscht, damit die Eigenarten von Zemlinskys Tonsprache, die jemand mal als eine gelungene Mischung aus Richard Strauss und Igor Strawinsky gekennzeichnet hat, deutlich geworden wären.
Die Inszenierung aber lässt in ihrer Genauigkeit und Intelligenz auf Tobias Kratzers Deutung von „Tannhäuser“ bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen hoffen.
Premiere: 24.03.2019, besuchte Vorstellung: 12.04.2019
Besetzung:
Donna Clara: Elena Tsallagova
Ghita: Emily Magee
Der Zwerg: David Butt Philip
Der Zwerg (Darsteller): Mick Morris Mehnert
Don Estoban: Philipp Jekal
Die erste Zofe: Flurina Stucki
Die zweite Zofe: Amber Fasquelle
Die dritte Zofe: Maiju Vaahtoluoto
Das erste Mädchen: So Young Park
Das zweite Mädchen: Kristina Häger
Alma Schindler (Pianistin): Adelle Eslinger-Runnicles
Alexander von Zemlinsky (Pianist):Evgeny Nikiforov
Chor der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Inszenierung: Tobias Kratzer
Bühne, Kostüme: Rainer Sellmaier
Chöre: Jeremy Bines
Licht: Stefan Woinke
Dramaturgie: Sebastian Hanusa