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Nicola Beller Carbone in: „Die sieben Todsünden“

02.03.2019 – Kurt Weill, „Die sieben Todsünden“ und Béla Bartók, „Herzog Blaubarts Burg“ in Wiesbaden

Stand: 02.03.2019, 13:50 Uhr

Gedacht hat sich Bert Brecht sein Ballett „Die sieben Todsünden“ als ein Stück über die Korrumpierbarkeit auch der kleinen Leute durch die Kapital- und Konsumwelt. Anna wird von ihrer Familie in die Welt geschickt, um Geld für das Häuschen in Louisiana zu verdienen. Das tut sie durch Tanz, Betrug, Erpressung, Intrige und Hochstapelei. Aber nicht das sind die Sünden, sondern dass sie ihre Geschäfte nicht ernsthaft genug betreibt. Eingeredet wird ihr das von ihrem Alter Ego, der vernünftigen Anna, und ihrer Familie, ein im Männerquartett singendes Über-Ich. Die Musik hat Kurt Weill geschrieben und die Choreographie bei der Uraufführung 1933 George Balanchine entworfen. Die Regisseurin Magdalena Weingut hebt am Staatstheater Wiesbaden diese Trennung zwischen der tanzenden und der belehrenden singenden Anna wieder auf.

Nicola Beller Carbone ist immer beides: Anna I und Anna II, was heute übrigens in den meisten Inszenierungen dieses Stücks der Fall ist. Aber Weingut zeigt, wie Anna an dieser Spaltung zerbricht und deckt damit eine häufig unbeachtete Seite des Stücks auf, dass eben kleinbürgerliche Ratio und impulsiver Lebensdrang sich zum persönlichen Drama verknäueln. Sie lässt Beller Carbone zaghaft mechanisch als Amüsierdame über die Bühne staksen, sie singt ihr Lied, wo es um die Bändigung des Zorns geht, in einer verletzlichen Unsicherheit. Sie ist damit wahrscheinlich näher am Stück, als wenn Dagmar Manzel seinerzeit an der Komischen Oper Berlin im Scheinwerferkegel alle Aufmerksamkeit auf sich polt oder neulich in Stuttgart die Elektropop-Sängerin Peaches daraus eine grelle Genderperformance macht.

Gegen ihre Zerbrechlichkeit kämpft Anna aber durchaus noch an. Sie wechselt ständig die Perücken, als suche sie ihre Identität. Sie steht in enger hautfarbener Unterwäsche da, halb Mumie, halb erotisches Objekt. Dazu passt, dass die vier Männer in Arztkitteln penetrant auf sie einsingen und sie einmal gleich in eine Zwangsjacke pressen oder in der nächsten Nummer als angsteinflößende Fabelwesen auftauchen.

Musikalisch geleitet wurde Kurt Weills Musik im Song-, Walzer-, und Foxtrottstil von Philipp Pointner, der allerdings im ersten Teil des Abends bei Béla Bartóks Einakter „Herzog Blaubarts Burg“ größere Profilierungsmöglichkeiten hatte. Er machte aus der Kurzoper eine veritable Symphonie mit allem, was dazu gehört: großer musikalischer Geste, farbenreiches Klangspiel, Bögen der Steigerung und motivische Feinarbeit. Diese Musik war so mehr als nur der Rahmen für die Wiederaufnahme von Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung aus dem Jahr 2015, die die Begegnung des Herzogs mit Judit zu einer privaten Angelegenheit macht und bei der sich die Geheimnisse der sieben Türen seines Schlosses in einer Aktentasche wiederfinden.

Diese überaus intelligente Brechung des quasi mythischen Geschehens verlängern Vesselina Kasarova als Judit und Johannes Martin Kränzle als Herzog in ihrem Bühnenspiel, Kränzle, der einen nicht unsympathischen, zur Zärtlichkeit fähigen, aber irgendwo gewöhnlichen Liebhaber gibt, der sich, was man ihm nicht zugetraut hätte, erst am Ende als Frauenmörder entpuppt. Und Kasarova zeigt die Judit auch in einer gewissen Beiläufigkeit, zu der freilich auch gehört zu reflektieren, zu fordern und zu verführen. Aber immer so wie es jeden Tag in Wohnzimmern, Lounges oder in Hotels stattfinden könnte.

Premiere/Wiederaufnahme: 01.03.2019, noch bis zum 31.03.2019

Besetzung:

Die sieben Todsünden

Anna: Nicola Beller Carbone
Mutter: Florian Küppers
Vater: Ralf Rachbauer
Bruder I Julian Habermann
Bruder II: Daniel Carison

Inszenierung: Magdalena Weingut
Bühne: Matthias Schaller
Kostüme: Katarzyna Szukszta
Licht: Oliver Porst
Dramaturgie: Regine Palmai

Herzog Blaubarts Burg

Herzog Blaubart: Johannes Martin Kränzle
Judit: Vesselina Kasarova

Inszenierung: Uwe Eric Laufenberg
Bühne: Matthias Schaller, Susanne Füller
Kostüme: Susanne Füller
Licht: Andreas Frank
Dramaturgie: Katja Leclerc

Hessisches Staatsorchester Wiesbaden
Musikalische Leitung: Philipp Pointner