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09.06.2017 - Wagner, "Tannhäuser" in München

Stand: 09.06.2017, 17:48 Uhr

Nicht Tannhäuser, der zwischen Erotik und Geist zerrissene Titelheld und nicht die Heilsgestalt Elisabeth, die diesen Kampf bereits hinter sich hat, waren die Hauptfiguren in der neuesten "Tannhäuser"-Produktion von Romeo Castellucci und dem Dirigenten Kirill Petrenko an der Münchner Staatsoper, sondern die Figur des Grüblers Wolfram von Eschenbach.

Petrenko und der großartige Christian Gerhaher haben diese Figur musikalisch komplett neu gedeutet. Gerhaher hat den Wolfram schon oft gesungen. Seinen kammermusikalischen, liedhaften Ansatz hat er mal mit dem jeweiligen Dirigenten, mal gegen ihn durchsetzt, wie er mir selbst einmal im Gespräch gestanden hat. Diesmal aber lagen er und Petrenko ganz auf einer Linie. Liedhaft heißt bei Gerhaher nicht klein, sondern abgründig, schroff, suchend, sarkastisch, aber niemals ausladend. Alles was diese Figur jemals auszeichnen kann, die nur halb eingestandene Liebe zu Elisabeth, die Ablehnung und zugleich Treue zu dem Lustmenschen Tannhäuser, das alles findet bei Gerhaher in der Färbung einzelner Vokale statt, in einem kleinen Ritardando, in einem kaum merklichen Schluchzer. Und genau so hat Petrenko die ganze dreieinhalbstündige Oper angelegt. Nirgends die große Geste. Im Vorspiel zum zweiten Aufzug ein gespanntes Piano, in der Ouvertüre Weichheit im zerfließenden Legato, in der Verdammungsszene Tannhäusers eine Art von avantgardistischer Polyphonie. Petrenko ist ein Tüftler, auch ein Suchender und ein ideenreicher Musikant, so ungefähr das Gegenteil des ja auch niemals grobschlächtig dirigierenden Christian Thielemann, dessen schwungvollen Bayreuther "Tannhäuser" man immer irgendwie auch mithört, weil hier in München alles so verschieden ist.

Ansonsten erlebte man in München natürlich wieder eine Weltklassebesetzung. Georg Zeppenfeld als nobler Landgraf, der, weil er auf der Bühne nicht viel zu tun hat, seine Ankündigungen, sein Sinnieren, sein Verdammen in einen differenzierten, aber doch klangvollen Sprachvortrag kleidete, Elena Pankratova, die - wohl unter Petrenkos Anleitung -  die Venus auf einer großen Linie ohne jegliche Forcierung darbot. Nicht ganz wohl, schien es, fühlten sich Anja Harteros als Elisabeth, die ich lieber als Marschallin oder Gräfin erlebe, die Elisabeth aber tastend, fragend sang, aber eben nicht so vielgestaltig wie Gerhaher. Und auch Klaus Florian Vogt hat als Tannhäuser nicht seine Paraderolle gefunden, wenn man seine Weltklasseleistungen im als Lohengrin und Parsifal dagegen hält.

Elena Pankratova (Venus) und Klaus Florian Vogt (Tannhäuser) von "Tannhäuser" Bayerische Staatsoper

Elena Pankratova (Venus) und Klaus Florian Vogt (Tannhäuser) im 1. Aufzug

Romeo Castellucci ist immer noch einer der bildmächtigsten Regisseure und einer der verstörendsten: Was bei ihm auf der Bühne mehr gezeigt wird, als dass es passiert, ist im Kern eine intelligente Deutung von Wagners ausufernden Bühnenanweisungen in der Partitur: die pfeilschießenden Amazonen in der Ouvertüre, die Fleischberge, in denen Venus sitzt, die Stofftürme und Stoffmauern in der Sängerhalle und auch die zu Staub verwesenden Leichen von Elisabeth und Tannhäuser im dritten Aufzug. Man kann aber nicht sagen, dass Castellucci das Drama entfaltet hatte. Er hat ein Oratorium bebildert.

Premiere: 21.05.17, besuchte Vorstellung: 08.06.17, noch am 09.07.17

Besetzung:
Hermann, Landgraf von Thüringen: Georg Zeppenfeld
Tannhäuser: Klaus Florian Vogt
Wolfram von Eschenbach: Christian Gerhaher
Walther von der Vogelweide: Dean Power
Biterolf: Peter Lobert
Heinrich der Schreiber: Ulrich Reß
Reinmar von Zweter: Ralf Lukas
Elisabeth, Nichte des Landgrafen: Anja Harteros
Venus: Elena Pankratova
Ein junger Hirt: Elsa Benoit
Vier Edelknaben: Solist/en des Tölzer Knabenchors

Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper

Musikalische Leitung: Kirill Petrenko
Inszenierung, Bühne, Kostüme, Licht: Romeo Castellucci
Choreographie: Cindy Van Acker
Regiemitarbeit: Silvia Costa
Dramaturgie: Piersandra Di Matteo, Malte Krasting
Videodesign und Lichtassistenz: Marco Giusti
Chor: Sören Eckhoff