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28.07. 2021 – Wagner, „Tannhäuser“ bei den Bayreuther Festspielen

Stand: 28.07.2021, 10:30 Uhr

Aus dem Graben tönt der wohlbekannte Beginn der Tannhäuser-Ouvertüre mit dem „Gnadenheilmotiv“, wie es die Wagnerianer nennen, und alles könnte in Bayreuth seinen gewohnten Gang nehmen. Doch bei dem Dirigenten Axel Kober wird es anders.

Schon am Anfang bei den quirlend abwärts fließenden 16tel-Triolen der Violinen, beim spitz punktierten Bachanal-Motiv in den Holzbläsern und dann noch mal am Schluss, wo er den schreitenden Bläserchorälen drängende Streicherfiguren entgegensetzt. Das ist ein Einpeitschen mit immer neuen Anläufen. Natürlich schenken auch andere Dirigenten dieser Stelle Aufmerksamkeit, immerhin hat Wagner die Partitur mit Akzenten übersät. Aber Axel Kober formt daraus einen sprechenden Gegensatz, es ist ein rhetorisches Musizieren mit dem vollem Orchester.

Lise Davidsen (Elisabeth), Kyle Patrick (Le Gateau Chocolat), Ekatarina Gubanova (Venus), Oskar: Manni Lautenbach (Oskar), Stephen Gould (Tannhäuser) im zweiten Aufzug von „Tannhäuser“

Lise Davidsen (Elisabeth), Kyle Patrick (Le Gateau Chocolat), Ekatarina Gubanova (Venus), Oskar: Manni Lautenbach (Oskar), Stephen Gould (Tannhäuser) im zweiten Aufzug von „Tannhäuser“

Solche Modellierungen sind im Orchester noch viele hören, aber es gibt ja auch noch die Sänger auf der Bühne. Da hatte man mit Stephen Gould in der Titelrolle niemanden, der sich auf solche Details als Mittel der Ausdrucksgestaltung einlassen konnte oder wollte. Von ihm vernahm man, angefangen vom Venus-Preislied am Anfang, über sein hingestemmtes Plädoyer für die freie Liebe im Sängerwettstreit bis zur sogenannten „Romerzählung“ am Schluss vor allem gewaltig herausfahrende Stimmstöße. In der „Romerzählung“ freilich mag das gepasst haben, denn hier kehrt der Tannhäuser von seiner Pilgerfahrt, unbegnadigt vom Papst, zurück und ist am Ende.

Lise Davidsen hatte die Partie der Elisabeth schon bei der Premiere 2019 gesungen. Inzwischen ist ihre Stimme gereift, hat an Rundung gewonnen. Dennoch hat sie allzu oft noch den Charakter eines Flammenwerfers. Das passt wirklich nicht zur Rolle, denn - auch in der Deutung des Regisseurs Tobias Kratzer - ist sie ja nicht eine aufbegehrende Figur, sondern eine verunsicherte. Ihr keusches Liebesideal gerät ins Wanken. Hier und da konnte man das allenfalls klanglich irgendwie nachempfinden, aber vom Text verstand man gar nichts.

In der Bayreuther Inszenierung begibt sie sich im dritten Aufzug in die Gesellschaft der Venus und ihrer Gefährten, einer Drag-Queen und eines kleinwüchsigen Trommlers, dem Oskar aus der „Blechtrommel“ nachempfunden. Die fristen mittlerweile eine traurige Existenz auf einem Schrottplatz, wo ihr Zuhause, ein altes Citroën-Wohnmobil, dahinrottet. Immerhin lässt Elisabeth sich auf ein Liebesabenteuer mit Wolfram ein, der zuvor im Sängerwettstreit noch den tadellosen Verfechter der sublimierten Liebe abgeben hat. Das Ergebnis beider Entgrenzung ist eine Katastrophe. Elisabeth bezahlt das Abenteuer in der Sicht Kratzers mit dem Tod wahrscheinlich durch Selbstmord, und Wolfram besingt im Lied an den Abendstern, kauernd in dem Wohnmobil, seine Hoffnung, dass Elisabeth „ein sel’ger Engel“ werde. Das tut Markus Eiche in feiner Nuancierung, in einer reflektierenden, aber präsenten Zurückhaltung.

Präsent ist auch Ekatarina Gubanova als Venus. Sie schlüpft nicht nur in ein körperbetontes Catsuit, sondern verkörpert auch das Ungezügelte und Rebellische einer Figur, die 68er-Rebellionsgeist mit modernem Queer-Sein zusammenbringt. Eine gesangliche Entsprechung dafür findet sie in trotzigen volltönenden Ausbrüchen mehr als in verführerischen Klängen.

Schließlich Günther Groissböck als Landgraf, dem es vollkommen genügt, seinen herrischen Anweisungen durch seine sonore, bemerkenswert flexible Bassstimme Autorität zu verleihen.

Tobias Kratzers hintergründige und auch humorvolle Inszenierung mit ihrer intelligenten Vermischung aus filmischen Handlungen, die sich fürs Auge bruchlos mit dem realen Bühnengeschehen vermischen, hat auch bei der Wiederaufnahme nichts an Wirkung eingebüßt. Das ist einfach faszinierend, wenn Venus und ihre Gefährten (im Film) über eine Leiter in das Festspielhaus eindringen und plötzlich real auf der Bühne stehen und den biederen Sängerwettstreit aufmischen, inklusive Regenbogenfarben-Transparent.

Premiere der Wiederaufnahme: 27.07.2021

Besetzung:
Landgraf Hermann: Günther Groissböck
Tannhäuser: Stephen Gould
Wolfram von Eschenbach: Markus Eiche
Walther von der Vogelweide: Magnus Vigilius
Biterolf: Ólafur Sigurdarson
Heinrich der Schreiber: Jorge Rodriguez-Norton
Reinmar von Zweter: Wilhelm Schwinghammer
Elisabeth, Nicht des Landgrafen: Lise Davidsen
Venus: Ekatarina Gubanova
Ein junger Hirt: Katharina Konradi
Le Gateau Chocolat: Le Gateau Chocolat / Kyle Patrick
Oskar: Manni Lautenbach

Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele

Musikalische Leitung: Axel Kober
Regie: Tobias Kratzer
Bühne und Kostüme: Rainer Sellmaier
Licht: Reinhard Traub
Video: Manuel Braun
Dramaturgie: Konrad Kuhn
Chorleitung: Eberhard Friedrich