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Andreas Schager (Siegfried) und Tomasz Konieczny (Wanderer) im 3. Aufzug von „Siegfried“ bei den Bayreuther Festspielen 2023

30.07.2023 – Wagner, "Siegfried" bei den Bayreuther Festspielen

Stand: 30.07.2023, 09:30 Uhr

Siegfried tötet den Drachen Fafner mit seinem Schwert. Regisseure, die keine märchenhafte Handlung bebildern wollen, lassen da oft den Helden mit Schusswaffen zu Werke gehen. Bei Valentin Schwarz ist es harmloser und schrecklicher zugleich. Fafner ist kein Tier, sondern ein alter Mann auf dem Sterbebett. Er rafft sich noch einmal auf. Siegfried stößt ihm seinen Rollator weg, er stürzt und erleidet eine tödliche Herzattacke. Zuvor gab es verschiedene Besuche an Fafners Krankenlager, Alberich war da und Wotan als Wanderer, die am Bett des Kranken ihre Differenzen austrugen wie konkurrierende Geschäftspartner. Dieser 2. Aufzug von Wagners Oper "Siegfried" gehört zu den gelungensten von Valentin Schwarz‘ Bayreuther Inszenierung des "Ring des Nibelungen".

Weniger gelungen ist der 3. Aufzug, die Erweckung Brünnhildes durch Siegfried. Zwar überrascht die Gestalt von Brünnhilde mit ihrer dichten Gesichtsbandage, die allmählich entfernt wird, zwar wird Brünnhildes Pferd Grane zum menschlichen Begleiter, und Siegfried erhält ebenfalls ein Alter Ego im gelben T-Shirt (der Knabe aus dem "Rheingold"), aber die bald eine Stunde dauernde Szene erschöpft sich doch recht bald in dem wie ziellosen Umherwandeln der Protagonisten auf der Bühne. Dabei ist der szenische Grundgedanke ja interessant: Siegfried ist die Unbeholfenheit in Person. Er kann mit Brünnhilde nichts anfangen und kommt ihr weder körperlich noch emotional nahe. Zudem sieht dieser Siegfried, den Andreas Schager verkörpern muss, aus wie ein proletenhafter Underdog mit schmierigen Kleidern und einer ungepflegten langen Mähne wie übrigens auch schon im 1. Aufzug, wo ihm Ziehvater Mime im verlotterten Outfit in nichts nachsteht.

Es schien, als ob Schager seine Underdog-Rolle auch in den Gesang transportiert hätte. Selbst bei Schlüsselstellen wie "Wie des Blutes Ströme sich zünden" oder "Das ist kein Mann" wollte er nicht seinen Heldentenor strahlen lassen, sondern begnügte sich fast mit einzelnen Stimmaufstößen. Letztere Stelle wirkte auch noch unfreiwillig komisch, weil Siegfried Anschauungsmaterial in Form eines Playboy-Pin-Ups benötigte.

Daniela Köhler als Brünnhilde hatte es, nach dem sie ausgewickelt war, naturgemäß erst einmal schwer, sich zu fokussieren. Bei dem schönen "Ewig war ich, ewig bin ich…" gelang ihr zwar ein Pianissimo, das aber wegen ihres Stimmvibratos etwas wackelte. An anderer Stelle entfalte sie kraftvolle Töne, die aber zu einer gewissen Schärfe neigten.

Brillant, ganz besonders in der Szene, als er versucht, Siegfried zu vergiften, war Arnold Bezuyen als Mime. Mit seiner klaren Textwiedergabe und durch Tonfärbungen und Artikulationsfeinheiten legte er in seinen Gesang eine Art von naiver Hinterlist. Tobias Kehrer stieß als der auf dem Boden sich wälzende Fafner donnernde, bedrohliche Töne aus wie ein letztes Aufbrausen und machte das Bild des sterbenden alten Mannes umso eindringlicher. Tomasz Konieczny als Wanderer war - obwohl mit einem dröhnenden, sonoren Organ ausgestattet - nicht so präsent wie noch in der "Walküre". Am schönsten geriet bei ihm eigentlich die Fragerunde mit Mime im 1. Aufzug ("Setze mein Haupt der Wissens-Wette zum Pfand"), wo beide für einige Momente zu einem fließenden Konversationston fanden.

… der durch aufzuckende Motive des Orchesters plastisch kommentiert wurde. Überhaupt gelang es Pietari Inkinen, die Partitur über Stunden hinweg in nicht nachlassender Energie wie Bildhauer durchzugestalten, durch eine dynamische Mikrovariabilität und der Lust daran, jede noch so kleine musikalische Figur zu artikulieren.

Premiere der Wiederaufnahme: 29.07.2023, noch am 08. und 24.08.2023

Besetzung:
Siegfried: Andreas Schager
Mime: Arnold Bezuyen
Der Wanderer: Tomasz Konieczny
Alberich: Olafur Sigurdarson
Fafner: Tobias Kehrer
Erda: Okka von der Damerau
Brünnhilde: Daniela Köhler
Waldvogel: Alexandra Steiner

Orchester der Bayreuther Festspiele

Musikalische Leitung: Pietari Inkinen
Regie: Valentin Schwarz
Bühne: Andrea Cozzi
Kostüm: Andy Besuch
Dramaturgie: Konrad Kuhn
Licht: Reinhard Traub