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30.07.2021 – „Ring 20.21“, ein multimediales Projekt bei den Bayreuther Festspielen

Stand: 30.07.2021, 10:30 Uhr

Ursprünglich war die Neuinszenierung von Wagners „Ring des Nibelungen“ mit dem Dirigenten Pietari Inkinen und dem Regisseur Valentin Schwarz schon für 2020 geplant, musste dann wegen der Pandemie um zwei Jahre verschoben werden. Ganz ohne „Ring“ sollte es aber bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen nicht abgehen, und deswegen hat man sich das Projekt „Ring 20.21“ ausgedacht. Das ist ein multimediales Konzept zu allen vier Teilen „Das Rheingold“, „Die Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“.

Letztere sind schnell erzählt. Zur „Götterdämmerung“ hat die japanische Künstlerin Chiharu Shiota eine Installation in den Festspielpark gestellt, die aus großen ineinander verschlungenen Ringen besteht, die in rote Fäden eingesponnen sind. Offensichtlich geht es um die Schicksalsfäden der Nornen. Der Bezug zu Wagners Stück ist da, wenn auch wenig hintergründig. Aber das Objekt ist auf der grünen Wiese schön anzuschauen.

The Thread of Fate (Schicksalsfaden), Installation von Chiaru Shiota

The Thread of Fate (Schicksalsfaden), Installation von Chiaru Shiota

Zu „Siegfried“ hat der MIT-Professor und Theaterakteur Jay Scheib eine Szene in Computerspielästhetik entworfen. Man zieht sich eine VR-Brille auf, fühlt sich unversehens ins Festspielhaus versetzt und kann sieben Minuten lang mit einem Drachen kämpfen: Phantasialand hält Einzug am Kultort der Wagner-Pflege. Es wurde angekündigt, dass Jay Scheib 2023 in dieser Weise den gesamten „Parsifal“ inszenieren soll. Da müssen dann aber noch echte dramaturgische Ideen hinzukommen, um vier Stunden Musik zu überbrücken.

Virtual Reality in „Sei Siegfried“ von Jay Scheib

Virtual Reality in „Sei Siegfried“ von Jay Scheib

Die größte Aufmerksamkeit von „Ring 20.21“ richtete sich auf den Wiener Aktionskünstler Hermann Nitsch, der eine konzertante Aufführung „Walküre“ auf der Bühne des Festspielhauses mit einer Malaktion, ausgeführt von zehn Malassistenten, begleitete.

Wie bei Hermann Nitsch üblich wurde hier nicht gepinselt, sondern Unmengen von Farben auf den Bühnenboden geschüttet und von der Oberkante des Bühnenprospekts nach unten gegossen, der sich dann nach und nach und immer wechselnd einfärbte. Für jeden der drei Aufzüge gab es dann eine neue Leinwand. Die Idee dahinter ist eine Art Farbsymphonie, die dem, was in der Musik passierte, entsprechen sollte. Manchmal war die Entschlüsselung leicht: schwarz steht für den Tod bei Siegmunds Todesverkündigung, rot für den Feuerzauber am Schluss der Oper.

So simpel ist es sicher nicht gedacht, und Farbspiele hätte man mit Videos einfacher herstellen können. Der theatralische Moment liegt mehr in der Malaktion selbst. Man beobachtet, wie im groben Hantieren mit Farbeimern Gemälde entstehen, die sich am Ende durchaus sehen lassen können und sicher zu einem hohen Preis verkauft werden können. Hinzu kommt – wie bei Hermann Nitsch schon früher zu beobachten – als Theaterelement eine gekreuzigte Figur, der man eine blutähnliche Flüssigkeit verabreichte und im dritten Aufzug eine Art Jesusfigur, die eine Monstranz präsentierte.

Die Walküren mit Sieglinde, im Hintergrund: Malaktion von Hermann Nitsch

Die Walküren mit Sieglinde, im Hintergrund: Malaktion von Hermann Nitsch

Auf der Vorderbühne stehen in schwarzen Kutten die Sänger. Sie haben das alles im Rücken, und so hielt es sie nicht in ihrer statuenhaften Platzierung, sondern ließen sich mehr und mehr zu einem halbszenischen Agieren ohne Regisseurs-Anleitung verleiten, was leider den Effekt hatte, dass die Malaktion an Wirkung einbüßte, weil nun deutlich wurde, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hatte.

Auf der musikalischen Seite hinterließ Klaus Florian Vogt, der in Bayreuth zum ersten Mal den Siegmund sang, den vorteilhaftesten Eindruck. Die „Nothung“-Ausrufe klangen heldisch und metallen, viel interessanter war aber, dass er z. B. bei „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ zu einem volksliedhaften, geradezu lyrisch nachsinnenden Gesangsvortrag fand.

Das kann man von den beiden anderen Hauptdarstellern nicht behaupten. Tomasz Konieczny als Wotan stemmte und wuchte sich mit seinem großen Organ durch die Partie und von Iréne als Brünnhilde vernahm man ein allzu gequältes Herausdrücken der Töne mit waberndem Vibrato in den Pianostellen. Die lange Abschiedsszene der beiden im dritten Aufzug war für das Publikum eine Leidensstrecke.

Der Dirigent Pietari Inkinen hatte interessant angefangen in einem gemessenen, ausgesprochen langsamen Tempo, das ihm die Möglichkeit gab zu runden Phrasengliederungen und den Raum für feine musikalische Pinselstriche. Aber zunehmend entglitt auch ihm die Steuerung. Er musste am Ende sogar Buhrufe erdulden.

Das war alles nicht Bayreuth-würdig und vor allem nicht verheißungsvoll für die Aufführung des gesamten „Ring des Nibelungen“ im nächsten Jahr.

„Immer noch Loge“, Szene am Festspielteich

„Immer noch Loge“, Szene am Festspielteich

Bei dem Projekt „Ring 20.21“ gab es auch noch eine Assoziation zum „Rheingold“, die ebenfalls im Festspielpark stattfand, und zwar am und in dem Teich dort. Das Stück nennt sich „Immer noch Loge“. Der Librettist Paulus Hochgatterer hat sich gefragt, was eigentlich nach dem Weltenbrand in der „Götterdämmerung“ stattfindet, denn immerhin gibt es ja Überlebende, Erda, die Rheintöchter und den Feuergott Loge. Erda macht Loge dafür verantwortlich und verurteilt ihn ebenfalls zum Feuertod. Das wird einer kasuistischen Dialogen verhandelt, die gespickt sind mit Begriffs-Reminiszenzen aus dem „Ring“: „Götterburgengrößenwahn, Gemeiner Frauenverkauf, Insolvenzverschleppung“ singt Erda an einer Stelle in den Tönen des Komponisten Gordon Kampe, der eine quirlige, vielgestaltige und textnahe Musik geschrieben hat, die ein wenig an Aribert Reimann oder Hans Werner Henze erinnert. Dazu gab es ein Puppenspiel von Nikolaus Habjan und Marianne Meinl, dessen Potenzial sich aber wegen des doch großen Abstands des Publikums vom Geschehen nicht recht entfalten konnte. Das 60 Minuten Stück ist es auf jeden Fall Wert, an anderer Stelle noch einmal aufgenommen zu werden.

Premieren: 29.07.2021

Besetzung „Die Walküre“:

Siegmund: Klaus Florian Vogt
Hunding:- Dmitry Belosselskiy
Wotan: Tomasz Konieczny
Sieglinde: Lise Davidsen
Brünnhilde: Iréne Theorin
Fricka: Christa Mayer
und andere
Orchester der Bayreuther Festspiele
Leitung: Pietari Inkinen
Aktionskünstler: Hermann Nitsch
Licht: Peter Younes

Besetzung „Immer noch Loge“:

Gesangsdarsteller: Daniela Köhler, Stephanie Houtzeel, Günter Haumer
Ein Instrumentalensemble
Komposition und musikalische Leitung: Gordon Kampe
Text: Paulus Hochgatterer
Puppenbau: Nikolaus Habjan, Marianne Meinl
Bühne und Kostüm: Julius Theodor Semmelmann