Live hören
WDR aktuell
00.03 - 06.00 Uhr Das ARD Nachtkonzert

06.08.2022 – Wagner, "Götterdämmerung" bei den Bayreuther Festspielen

Stand: 06.08.2022, 09:30 Uhr

Man hat es spätestens in der "Götterdämmerung" gemerkt. Es gibt nicht den einen Ring des Nibelungen. Das, wofür er steht, nämlich Macht und Zukunftspotenzial, sind Kinder. Im "Rheingold" noch ein ganzer Hort, aus dem ein besonders begabtes herausragt und entführt wird. Das ist in der Inszenierung von Valentin Schwarz der Knabe, später der Kerl im gelben T-Shirt und in der "Götterdämmerung" der gealterte Mann. Es ist die Figur Hagen, nunmehr ein intriganter Strippenzieher und Mörder. Das zukunftsweisende Potenzial hat sich in ihm nicht oder nur zum Negativen erfüllt.

In der "Götterdämmerung" ist der Ring bei Schwarz nun ein anderes Kind, nämlich das von Brünnhilde und Siegfried, wie man schon im Vorspiel zu sehen bekommt. Sie haben übrigens genau die beiden Räume bezogen, in denen zuvor (in der "Walküre") Siegmund und Sieglinde ihre Kindheit verbrachten. Bei Schwarz sind Brünnhilde und Siegfried auch kein frisches Liebespaar, sondern haben wohl schon die eine oder andere Krise hinter sich. Siegfrieds Rheinfahrt ist also eine Dienstreise, auf der sofort mit Gutrune anbändelt, die darauf reserviert reagiert, also genau anders herum als eigentlich in der Oper. Elisabeth Teige im grellgrünen, aufreizenden Neonkleid nutzte sängerisch und darstellerisch die wenigen Entfaltungsmöglichkeiten, die ihr die Rolle bot.

Sie, Gunther und Hagen ziehen gerade in die Designer-Villa von Wotan, die man in anderen Teilen gesehen hat ein und platzieren ihre abgeschmackten weißen Designer Möbel. An der Wand hängt schon ein Safari-Erinnerungsfoto, auf dem Boden liegt noch eingepackt eine Zebraplastik. Gutrune und Gunther sehen aus wie die Geissens.

Das Kind (der Ring): An ihm wird gezerrt, zunächst von Waltraute. Brünnhildes Wutausbruch "Den Ring, bist du von Sinnen" heißt hier: "Lass das Kind in Ruhe". Bemerkenswert war diese Auseinandersetzung aber, weil zwei Frauen mit furchterregendem Gesang aufeinandertrafen: scheppernd, blechern Christa Mayer als Waltraute, grummelnd oder kreischend Iréne Theorin als Brünnhilde, was sich auch bis zum Schluss nicht mehr ändern sollte. Und außerdem verstand man wieder kein Wort.

Michael Kupfer-Radecky (Gunther) in „Götterdämmerung“ bei den Bayreuther Festspielen 2022

Michael Kupfer-Radecky (Gunther) in „Götterdämmerung“ bei den Bayreuther Festspielen 2022

Das Kind (der Ring): die Rheintöchter wollen es, Hagen will es, aber was wollen sie eigentlich alle mit dem Kind? Die Inszenierung sagt dazu nichts, höchstens hat Gunther pädophile Neigungen, der von Michael Kupfer-Radecky brillant gespielt und gesungen wird. Die beste Szene an diesem Abend war, als er und Siegfried in das "Gemach" von Brünnhilde (und dem Kind) eindringen und Gunther einen lüsternen, zappelnden, langhaarigen, sadistischen Widerling abgibt, während Siegfried ihm aus dem Off die Töne verleiht. Clay Hilley ist für Stephen Gould dankenswerterweise eingesprungen und konnte an diesem Abend sein stimmliches Potenzial nur wenig und sein schauspielerisches gar nicht zur Geltung bringen. Neben Kupfer-Radecky als Gunther füllte nur noch Albert Dohmen als Hagen seine Rolle sprachlich und gesanglich aus, besonders in seinem dunklen Bekenntnis "Hier sitz‘ ich zur Wacht". Auf der Bühne wirkte er allerdings auf Dauer ein bisschen zu routiniert.

Die Schlussszene spielt auf dem Grund des ausgelassenen Swimmingpools, den man schon im "Rheingold" gesehen hat. Dort wird Siegfried ermordet, dort bettet sich Brünnhilde zum Feuertod. Dorthin wird auch Grane, bzw. das, was von ihm übrig ist, gelegt. Grane, Brünnhildes Ross, ist in dieser Inszenierung ihr stummer Begleiter und Vertrauter. Er wird von Gunther und Hagen gequält, blutig zugerichtet und getötet und geköpft, vielleicht als Mafia-Mord oder vielleicht als perverse Handlung.

Insgesamt greift Valentin Schwarz seine zahlreichen Bilderfindungen, er nennt es "szenische Leitmotive", während die vier Teile des Opernzyklus immer wieder auf, insofern löst er die Ankündigung, das Ganze nach der Dramaturgie einer Netflix-Serie zu konstruieren, durchaus ein. Das Problem sind die Assoziationen selbst. Sie wirken konstruiert, ungenau umgesetzt und wie vorbei gedacht an dem Stoff, um den es hier geht, nämlich Wagners "Ring des Nibelungen". Man wollte erklärtermaßen kein Ideentheater, sondern ein Personentheater. Aber wenn beinahe einzig die nicht gerade im Zentrum des Ganzen stehende Rolle des Gunther über gut 14 Stunden Theater diesen Anspruch einlöst, darf man sich über den heftigen und anhaltenden Buhsturm, der gegen Schwarz und seine Mitstreiter wie schon lange nicht mehr in Bayreuth tobte, nicht wundern. Ein Handicap mit dem Schwarz umgehen musste, waren die vielen Umbesetzungen und Ausfälle. Den schon vor längerer Zeit abhanden gekommenen Günther Groissböck eingerechnet, gab es fünf vorgesehene oder ad hoc dazugekommene Darsteller des Wotan, drei "Siegfriede" und zwei "Brünnhilden".

Auch musikalisch hielt der Abend nicht, was man sich von den Vorabenden erhofft hatte. Das Orchester, das Cornelius Meister – auch ein Einspringer für Pietari Inkinen - doch immer mehr in den Griff bekommen hatte, spielte in der "Götterdämmerung" oft unpräzis. Dadurch gerieten auch so effektvolle Stücke wie Siegfrieds Trauermarsch blass. Ob sich dieser „Ring des Nibelungen“ gemäß dem Werkstatt-Prinzip von Bayreuth in den nächsten Jahren noch retten lässt?

Premiere: 05.08.2022

Besetzung:
Siegfried: Clay Hilley
Gunther: Michael Kupfer-Radecky
Alberich: Olafur Sigurdarson
Hagen: Albert Dohmen
Brünnhilde: Iréne Theorin
Gutrune: Elisabeth Teige
Waltraute: Christa Mayer
Nornen: Okka von der Damerau, Stéphanie Müther, Kelly God
Rheintöchter: Lee-ann Dunbar, Stephanie Houtzeel, Katie Stevenson
Grane: Igor Schwab

Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele

Musikalische Leitung: Cornelius Meister
Regie: Valentin Schwarz
Bühne: Andrea Cozzi
Kostüm: Andy Besuch
Dramaturgie: Konrad Kuhn
Licht: Reinhard Traub
Video: Luis August Krawen
Chorleitung: Eberhard Friedrich