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29.01.2023 – Verdi, "Simon Boccanegra" in Essen

Stand: 29.01.2023, 09:30 Uhr

Starke Sänger in Verdis "Simon Boccanegra" am Essener Aalto-Theater! Carlos Cardoso als Gabriele Adorno schleudert in "L’ama il vegliardo" seine Eifersucht gegen Simon Boccanegra, von dem er noch nicht weiß, dass er Amelias Vater ist und nicht ihr Liebhaber, mit dem Furor eines Heldentenors heraus, um dann sogleich bei "Cielo pietoso" einen flehentlichen Ton zu finden, alles auf klare Linie und fokussiertem Timbre gesungen. Nur sieht er in der geblümten Hose, der schwarzen Plastikjacke und dem langen gewellten Haar aus wie ein schlecht kostümierter Karnevalsjeck.

Jessica Muirhead singt in der Wiedererkennungsszene im 1. Akt, wenn sie Simon Boccanegra das Geheimnis ihrer Herkunft enthüllt, mit einer volltönenden, zugleich lyrischen Stimme, die die Ausdrucksvaleurs mit sprachnaher Phrasierung und feinen Dynamikabstufungen zu gestalten weiß. Nur trägt sie ein unvorteilhaftes, knielanges Kleid.

Ihr gegenüber agiert in dieser Szene mit Daniel Luis de Vicente in der Titelrolle ein agiler Bariton, der seine Freude in jugendlich beschwingten Gesangslinien ausdrückt, um gleich danach in der Ratsszene mit dröhnender Entschlossenheit zum dunklen Fortissimo der Blechbläser und einem eindringlich geblasenen Bassklarinettensolo den Widersacher Paolo dazu zwingt, sich selbst zu verfluchen.

Heiko Trinsinger als Paolo, Daniel Luis de Vicente als Simon Boccanegra, Andrei Nicoara als Pietro

Heiko Trinsinger als Paolo, Daniel Luis de Vicente als Simon Boccanegra, Andrei Nicoara als Pietro

Aus diesem Paolo macht Heiko Trinsinger einen abgrundtief bösen Menschen. Seine Worte klingen verschlagen wie die von Jago im "Otello" und zugleich mit einer herrischen Geste, so dass man als Zuschauer fast Angst vor ihm bekommt, wäre er nicht in eine bunt gemusterte Jacke gekleidet mit einer überdimensionierten Krawatte, die wie ein umgehängtes Spielzeug-Schwert aussieht.

Schließlich noch der Patrizier Fiesco, der hier, so wie Almas Svilpa die Partie angelegt hat, nicht als machthungriger Gegenspieler von Simon Boccanegra agiert, sondern dessen tiefste Basstöne bei der Trauer um seine Tochter einen aus dem Innersten kommenden Schmerz ausdrücken.

Die von Giuseppe Finzi geleiteten Essener Philharmoniker spielen mal kammermusikalisch prägnant wie in dem kurzen Vorspiel (gegeben wird die revidierte Fassung der Oper von 1881) oder mit einer das Kolorit der Stimmen veredelnden Patina wie in dem "Friedensterzett" am Schluss des 2. Akts. Sehr schön auch, wie Finzi in den Volksszenen das Geschehen anpeitschend in eine dramatische Richtung lenkt oder aber einen Klangraum zum beredten Diskurs öffnet wie in der Szene zwischen Amelia und Simon Boccanegra, in der deutlich wird, dass sie mit Gabriele Adorno den Feind des Dogen liebt.

Auch wenn im 2. und 3. Akt die Inszenierung von Tatjana Gürbaca ein wenig ins Konventionelle rutscht, so gibt es in dieser Produktion doch viele starke Szenen. Im Prolog z .B., wenn Simon Boccanegra von einem wilden karnevalesken Mob zum Dogen gekürt wird und er dies mit Entsetzen über sich ergehen lässt, weil zugleich die Leiche seiner Geliebten, die sich erhängt hat, geschändet wird. Oder die berühmte Fluchszene, in der der Sturm auf das Kapitol vom 6. Januar nachgestellt wird, wo die Szene wie in einem Filmstill eingefroren wird und sich erst zu den versöhnlichen Tönen des Dogen allmählich löst. Oder der Schluss, als Simon Boccanegra einen Todestanz mit der einer imaginierten jugendlichen Amelia alias Maria vollführt, während um ihn herum schon Gabriele Adorno als neuer Doge inthronisiert wird.

Die Kostüme von Silke Willrett dominieren die Szene. Sie sind schrill und aufdringlich. Die Darsteller wirken in ihnen oft wie Puppen nicht wie Menschen. Aber die Kostüme vermitteln in geradezu ikonographische Chiffren Aspekte der einzelnen Figuren. Die Szene selbst besteht eigentlich nur aus einer Art nicht weiter identifizierbarem Bretterverschlag aus Elementen einer gräulichen Gelenkwand mit orangefarbenen Türen, dessen abstrakte Hässlichkeit dem Bühnenbildner Klaus Grünberg nicht entgangen sein kann, die er aber wohl in Kauf genommen hat, um mit dieser Stellage in fließenden Umbauten variable Flächen auf dem Bühnenboden abgrenzen zu können.

Premiere: 28.01.2023, noch bis zum 14.06.2023

Besetzung:
Simon Boccanegra: Daniel Luis de Vicente
Amelia Grimaldi: Jessica Muirhead
Gabriele Adorno: Carlos Cardoso
Jacopo Fiesco: Almas Svilpa
Paolo Albiani: Heiko Trinsinger
Pietro: Andrei Nicoara

Opernchor des Aalto-Theaters
Essener Philharmoniker

Musikalische Leitung: Giuseppe Finzi
Inszenierung: Tatjana Gürbaca
Bühne und Licht: Klaus Grünberg
Kostüme: Silke Willrett
Choreinstudierung: Klaas-Jan de Groot
Dramaturgie: Svenja Gottsmann, Laura Bruckner