Live hören
WDR 3 - Das Kulturradio.
00.03 - 06.00 Uhr Das ARD Nachtkonzert

12.08.2021 – Richard Strauss, „Elektra“ bei den Salzburger Festspielen

Stand: 12.08.2021, 10:30 Uhr

Etwas kommt ins Rutschen, und auf einmal ergibt sich eine neue Konstellation. Das passierte bei der Vorstellung von „Elektra“ am Mittwoch bei den Salzburger Festspielen, einer Wiederaufnahme vom letzten Jahr. Nicht die von Ausrine Stundyte verkörperte Elektra, sondern Chrysothemis, gesungen von Vida Miknevičiūtė, wurde mehr und mehr zur Hauptfigur, und zwar allein durch die Art ihres Singens.

Dass der Regisseur Krzysztof Warlikowski dazu am Ende der Oper ein Ausrufezeichen setzte, war zunächst nicht abzusehen: Er lässt den Mord an Ägisth von Chrysothemis ausführen, weil Orest, nachdem er Klytämnestra erstochen hat, dem Wahnsinn verfällt und seine Mission nicht vollenden kann.

Zuvor präsentierte Christopher Maltman diesen Orest noch mit tiefem, sonorem Bariton, der seine Worte: „Die diese Tat mir auferlegt, diese Götter“ mit ebensolcher göttergleichen Bestimmtheit in den Raum setzte.

Die Gewichte verschoben sich, das fiel vor allem deswegen auf, weil – rein stimmlich – Ausrine Stundyte die Elektra im Ungefähren beließ. Wieviel Zwischentöne sind aber doch in der Partitur hinterlegt. Etwa in der Szene, in der Klytämnestra von Elektra Heilung von ihren schlechten Träumen erhofft. Hier sind es nur kurze Entgegnungen, mit denen Elektra den Mord an ihr ankündigt. Aber nur wenn die mit Hintersinn („Ich habe Lust mit meiner Mutter zu reden wie noch nie“) und stimmlicher Dringlichkeit ertönen, wird Elektra als Person spürbar. An diesem Abend war wenig davon da. Fast nur, als sie Klytämnestra im Fortissimo entgegenschreit: „Was bluten muss? Dein eigenes Genick“. Oder später bei dem Schrei „Orest“, als Elektra den Bruder erkennt und der dreimal im Piano verhallenden Wiederholung. Da mischte sich Emphase mit innerer Gewissheit.

Auch von Tanja Ariane Baumgartners Klytämnestra hörte man an diesem Abend in ihrem einzigen großen Auftritt mehr matronenhafte Sentenzen, kaum etwas von der Getriebenheit der Agamemnon-Mörderin, die in einem vom Regisseur hinzugefügten gesprochenen Prolog ihre Tat sogar noch rechtfertigten durfte.

Ausrine Stundyte (Elektra), Vida Miknevičiūtė (Chrysothemis) in: „Elektra“ von Richard Strauss

Ausrine Stundyte (Elektra), Vida Miknevičiūtė (Chrysothemis) in: „Elektra“ von Richard Strauss

Ganz anders dagegen Vida Miknevičiūtė. Wenn Chrysothemis auf die nach Rache sinnende, brütende Elektra trifft, sie singt ihr Plädoyer, von der Vergangenheit abzulassen und sich dem Mutterglück hinzugeben, mit Glut und Größe heraus, dass man nicht sie, wie Elektra sagt, als „armes Geschöpf“ erlebt, sondern Elektra selbst.

Immer wenn Vida Miknevičiūtė sang, flutete sie den Raum. Und ganz am Ende bei „Es ist der Bruder drin im Haus“ ist sie vollends die Person, die das Geschehen mit einem Jubelhymnus beherrscht.

Franz Welser-Möst gilt als Strauss-Dirigent unserer Tage, spätestens seit seiner „Salome“ 2018 an gleicher Stelle. Irgendetwas fehlte aber an diesem Abend. Dem gewaltig und dissonant herausfahrenden Orchesterdonner am Anfang oder beim Mord an Klytämnestra konnte man nicht entgehen. Vielleicht waren es die leisen Töne, bei denen sich die Spannung einer orchestralen Schilderung des Geschehens diesmal nicht recht einstellte. Dirigiere Salome und Elektra wie „Elfenmusik“ sagte Richard Strauss einmal.

So zeigte sich, dass ein Opernabend, selbst wenn wie bei „Elektra“ das Maximum an Mitteln vom Komponisten und den Interpreten aufgeboten wird, doch ein fragiles Gebilde bleibt.

Premiere der Wiederaufnahme von 2020: 27.07.2021, besuchte Vorstellung: 11.08.2021

Besetzung:
Klytämnestra: Tanja Ariane Baumgartner
Elektra: Ausrine Stundyte
Chrysothemis: Vida Miknevičiūtė
Ägisth: Michael Laurenz
Orest: Christopher Maltman
Der Pfleger des Orest: Peter Kellner
Die Schleppträgerin: Verity Wingate
Die Vertraute: Evegenia Asanova
Ein junger Diener: Matthäus Schmidlechner
Ein alter Diener: Jens Larsen
Die Aufseherin: Sinéad Campbell-Wallace
Mädge: Monika Bohinec, Noa Beinart, Deniz Uzun, Regine Hangler, Vera-Lotte Boecker

Wiener Philharmoniker

Musikalische Leitung:  Franz Welser-Möst
Inszenierung: Krzysztof Warlikowski
Bühne und Kostüme: Małgorzata Szczęśniak
Licht: Felice Ross
Video: Kamil Polak
Choreografie: Claude Bardouil
Dramaturgie: Christian Longchamp