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Szene aus dem 3. Akt von „The Greek Passion“ bei den Salzburger Festspielen 2023

14.08.2023 - Bohuslav Martinů, „The Greek Passion“ bei den Salzburger Festspielen

Stand: 14.08.2023, 09:30 Uhr

Die „Griechische Passion“ von Bohuslav Martinů, die letzte Oper des 1959 gestorbenen tschechischen Komponisten, ist ein Monument, schon vom Thema her. Die Oper geht zurück auf den Nikos Kazantzakis‘ Roman „Christus wird wiedergekreuzigt", den Martinů als englische Übersetzung kannte. Deswegen schrieb er sich selbst sein Libretto auf Englisch. Das Stück spielt während des griechisch-türkischen Kriegs um 1920.

Die Bewohner in einem wohlhabenden griechischen Dorf planen ein Passionsspiel. Dann tauchen Flüchtlinge auf und begehren Hilfe, die der Priester verweigert. Die erwählten Passionsspieler sind aber so von ihrer Mission ergriffen, dass sie Mitleid lernen, allen voran der Hirte Manolios, der den Jesus spielen soll. Er wird förmlich zu einem neuen, auch predigenden Jesus, der eine keusche Liebe zu Katerina empfindet, der die Rolle der Maria Magdalena zugedacht ist. Dann wird Manolios auf Betreiben des Dorfpriesters exkommuniziert und grausam getötet. Die Flüchtlinge ziehen weiter.

Ein Monument ist diese Oper, weil hier große menschliche Themen wie Gesellschaft, Glaube, Mitleid und Liebe verhandelt werden und Martinů dafür die ganzen Möglichkeiten des Theaters und der musikalischen Darstellung nutzt. Es gibt die große oratorische Geste, wenn sich die Flüchtlinge ihrer Mission vergewissern, ein neues Dorf zu gründen. Es gibt die heiter-lyrische pastorale Szene, wenn Händler Yannankos mit seinem Esel spricht (der lebendig auf der Bühne erscheint, wie später noch ein Schaf und eine Ziege), dann das große ausgreifende opernhafte Solo, wenn Manolios seine Predigt hält. Schließlich eine zischende, kratzig drohende Musik, wenn die Dorfbewohner eine repetitive Amen-Sequenz herausschleudern, in der sich ihre Bigotterie ausdrückt.

Und, vielleicht die schönste Szene, wenn sich Manolios und Katerina vorsichtig einander annähern und aus einer Luke der Felsenreitschule ein Akkordeonspieler volksliedartige Töne anstimmt. Dabei klopft Manolios an Katerinas Tür. Aber der Regisseur Simon Stone kippt diese Situation in die Horizontale. Sie reckt den Kopf aus dem Bühnenboden; er liegt vor ihr, alles in ein blaues Licht getaucht, wodurch sich die Zärtlichkeit und der Zerbrechlichkeit der Situation mitteilt.

„The Greek Passion“ ist zweifellos ein sakrales Werk, aber auch ein Politstück und zugleich ein pastorales Naturstück. Es ist eine Programmmusik von riesigen symphonischen Ausmaßen und zugleich eine Abfolge von kleinen musikalisch fein ausgedachten Miniaturen, denn Martinů ist ein Meister darin, die Musik blitzartig zu verändern. Maxime Pascal, der zum ersten Mal die Wiener Philharmoniker bei einer Opernproduktion der Festspiele leitete, verstand es, den Stilpluralismus des Komponisten in einem an- und abschwellenden Fluss immer neuer, die Szene verdeutlichender musikalischer Figuren zu betten.

Dieses szenisch-musikalische Changieren setzt schon am Beginn der Oper ein mit den choralartigen Tönen, in die sich plötzlich fremde Töne hineinmischen wie die dissonanten Glocken. Mit dem Auftritt der Dorfbewohner schlägt die Stimmung unversehens ins Bedrohliche um. Ähnlich am Schluss (und an vielen anderen Stellen): Dort verwandelt sich das formelhafte Kyrie Eleison zu einem aggressiven Stammeln, und die Musik verebbt in einem jammervollen Ton.

An dieser Stelle ruft der sich zuvor in eine ekstatische Vision hineinsingende Jesus-Wiedergänger Manolios plötzlich zum gewaltsamen Kampf auf und Martinů schreibt dazu eine durchfurchte Musik im Fortissimo. Von einem Moment auf den anderen gerät man vom Sakralen im Politischen.

Maxime Pascal leitet ein herausragendes Sängerensemble, allen voran mit Sebastian Kohlhepp als Manolios, Charles Workman als komödiantischer Yannakos, der bei seinem Sündenbekenntnis auch herzzerreißende Töne anschlägt, und Sara Jakubiak als Katerina in geradliniger Fokussierung, passend zu der sich in die Rolle der Maria Magdalena hineinlebenden Dorfbewohnerin.

Der Regisseur Simon Stone ist Martinůs Opernmonument mit Ehrfurcht begegnet. Er lässt die Tableaus aus sich heraus wirken. Die Bühne ist kahl und bleibt es. Über den Verlauf von zwei Stunden gibt es nur wenige sorgsam ausgewählte szenische Zutaten, wie etwa in Manolios’ Traumsequenz als sich eine riesige Luftpuppe als Heiland zappelnd aufbäumt, oder wenn die Flüchtlinge oben in der Galerie der Felsenreitschule wandeln oder deren Utensilien im Bühnenboden entsorgt werden. Simon Stone nimmt die dieser Oper innewohnende politische Botschaft ernst, hat dem Werk aber nichts Plakatives übergestülpt, keine Videos von griechischen Auffanglagern etwa. Seine Fingerzeige teilen sich beiläufig mit, etwa dadurch, dass die saturierten Dorfbewohner alle in hellgrau gekleidet sind, die Flüchtlinge dagegen individuell bunt. So verfehlt auch die sich über Minuten hinziehende Bemalung der Rückwand mit „Refugees out“ nicht die Wirkung, weil sie mit einer verstörenden Bedachtsamkeit geschieht.

Premiere: 13.08.2023, noch bis zum 27.08.2023

Besetzung:
Priester Grigoris: Gábor Bretz
Manolios: Sebastian Kohlhepp
Katerina: Sara Jakubiak
Yannakos: Charles Workman
Lenio: Christina Gansch
Andonis: Matteo Ivan Rašić
Michelis: Matthäus Schmidlechner
Kostandis: Alejandro Baliñas Vieites
Panais: Julian Hubbard
Nikolio: Aljoscha Lennert
Eine alte Frau: Helena Rasker
Patriarcheas: Luke Stoker
Ladas: Robert Dölle
Priester Fotis: Łukasz Goliński
Ein alter Mann: Scott Wilde
Despinio: Teona Todua

Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor
Wiener Philharmoniker

Musikalische Leitung: Maxime Pascal
Regie: Simon Stone
Bühne: Lizzie Clachan
Kostüme: Mel Page
Lichte: Nick Schliepe
Dramaturgie: Christian Arseni
Choreinstudierung: Huw Rhys James und Wolfgang Götz