16.11.2018 – György Kurtág, „Fin de partie“ in Mailand
Stand: 16.11.2018, 13:50 Uhr
Sein halbes Leben lang schon beschäftigt sich György Kurtág mit Becketts „Endspiel“, seit er das Stück 1957 in Paris sah, wo er sich nach dem niedergeschlagenen Ungarnaufstand aufhielt. Daraus eine Oper zu machen, lag ihm fern, zu groß war die Ehrfurcht vor jedem einzelnen Wort Becketts. Doch seit 10 Jahren komponiert Kurtág an Becketts „Fin de partie“. Szenen und Monologe daraus wurden jetzt an der Mailänder Scala uraufgeführt. Deren Intendant Alexander Pereira wollte eine Kurtág-Oper schon in Zürich und dann in Salzburg herausbringen. So nahm er nahm den Auftrag an seine neue Wirkungsstätte in Mailand mit.
Eine richtige Oper ist Kurtágs „Fin de partie“ freilich nicht, wenn man darunter die Zurichtung eines Stoffes auf musikalisch und emotional wirksame Szenen sieht, worin etwa Verdi mit seinen Schiller- und Shakespeare-Opern ein Meister war.
Kurtág vertont wirklich jedes einzelne Wort von Beckett. In Mailand waren etwa 60% des „Endspiels“ in Musik gesetzt. Kurtág komponiert aber weiter. Es sei sein persönliches Endspiel, sagte der mittlerweile 92jährige.
Becketts Text sei schon Musik, so Kurtág, er habe die Lücken darin füllen müssen. Ganz praktisch kann man darunter verstehen, dass Kurtág den mit unzähligen notierten Pausen versehenen Beckett-Text mit Eigenem ausgefüllt hat. Und in der Tat klingt Kurtágs Vertonung oft wie ein Wechselspiel zwischen Wort und musikalischem Ton. Seine Ehrfurcht vor dem Wort lässt ihn den Text nie zudecken. Seine Klänge sind zart und unaufdringlich. Das verlangte vom Zuhörer in Mailand aber auch eine gehörige Anstrengung des Lauschens. Kurtág hat auch in der Oper sein lebenslanges Ideal der Miniaturisierung des Ausdrucks nicht aufgegeben, auch wenn das Stück über 2 Stunden dauert.
Man darf Kurtágs Arbeit an Becketts Text durchaus so verstehen, wie ein Regisseur und die Schauspieler damit umgehen, sagt der Uraufführungsdirigent Markus Stenz, nämlich als eine eigene Rhythmisierung und Intensivierung des Geschriebenen.
Bei der Uraufführung in Mailand waren die meist im Piano gehaltenen Klänge, die allenfalls für Sekunden mal volkstümliche Floskeln oder wiedererkennbare musikalische Marken aufblitzen ließen, auf eine merkwürdige Weise in sich gekehrt, nicht gerade einladend für den Zuhörer. Das mag aber auch mit der räumlichen Situation in der riesigen Mailänder Scala zusammenhängen. Dabei ist Kurtágs Musik ja nicht kompliziert, nicht intellektuell verschachtelt, aber eben auch nicht von einer anpreisenden Mitteilsamkeit.
Der Dirigent Markus Stenz ließ sich auf diese Intimität der Klänge ein. Eineinhalb Jahre lang hat er sich mit der Kurtág‘schen Endspiel-Materie befasst, die vier Sänger sogar drei Jahre. Herausgekommen ist bei der Uraufführung so etwas wie eine Momentaufnahme, bei der nie der Eindruck entstand, diese oder jene musikalische Wendung dürfte nur so und niemals anders klingen, etwa das Singen der Tuba, grundiert von leisem Schlagzeug, wenn Hamm jammernd und stöhnend „Mon père“ ausruft. Oder wenn Clovs letzter sarkastischer Monolog in eine Art fröhliche Musikalität eingekleidet ist.
Auch die Sänger gingen je auf ihre eigene Art mit der Kurtág‘schen Beckett-Interpretation um, denn so viel Freiheit lässt er ihnen: Frode Olsen als Hamm grüblerisch-zornig, Leigh Melrose als Clov rebellisch und selbstbewusst, Hilary Summers als Nell matronenha und Leonardo Cortellazzi als Nagg spitzbübisch-hinterlistig.
Kurtágs „Fin de partie“ ist eine nur auf den ersten Blick reduzierte Musik, die man freilich nicht als bloße Schauspielmusik unterschätzen sollte.
Der Regisseur Pierre Audi übte sich in Zurückhaltung. Er akzentuierte lediglich oder klugerweise die Charaktere der vier Darsteller. Vor allem aber schienen er und der Ausstatter Christof Hetzer die peniblen Regieanweisungen, die Beckett in seinem Text verzeichnet, exakt umzusetzen. Man sieht das klassische „Endspiel“-Szenario: Hamm im Rollstuhl, sein Taschentuch über den Kopf, die Müllereimer, in denen Negg und Nall hocken, den humpelnden Clov, die Leiter, den Bootshaken, alles wie es bei Beckett steht, mit einem bemerkenswerten Unterschied. Die vier sind nicht innerhalb eines Raums, sondern außerhalb. Wenn Clov auf die Leiter steigt, blickt er nach innen, nicht wie bei Beckett nach außen. Wenn man will, kann man darin einen Hinweis auf Kurtág sehen. Diesem geht es um einen Innenschau. Komponieren sei eine strikt private Angelegenheit. So hat er hat sich seine Töne zu Beckett ein Leben lang abgerungen.
Uraufführung 15.11.2018, weitere Aufführungen bis zum 25.11.2018, ab 06.03.2019 an der Oper Amsterdam
Am 16.12.2018 in WDR 3 Oper
Besetzung:
Hamm: Frode Olsen
Clov: Leigh Melrose
Nell: Hilary Summer
Nagg: Leonardo Cortellazzi
Orchester der Mailänder Scala
Musikalische Leitung: Markus Stenz
Inszenierung: Pierre Audi
Bühne und Licht: Christof Hetzer
Licht: Urs Schönebaum
Dramaturgie: Klaus Bertisch