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17.08.2018 – Hans Werner Henze, „Die Bassariden“ bei den Salzburger Festspielen

Stand: 17.08.2018, 13:50 Uhr

Auch in seinem zweiten Jahr setzt Festspielintendant Markus Hinterhäuser auf einen Klassiker der Avantgarde. Große Werke neu zu befragen und zu überprüfen, ist ihm derzeit wichtiger, als Kompositionsaufträge zu erteilen. Letztes Mal war es Aribert Reimanns vierzig Jahre alte Oper „Lear“, dieses Jahr Hans Werner Henzes „Die Bassariden“, die vor 52 Jahren bei Salzburger Festspielen uraufgeführt wurden.

Das war die Zeit, als Stockhausen und Boulez mit ihren streng seriellen Kompositionstechniken die Debatte bestimmten. Der in Italien lebende Henze galt als Außenseiter, weil er sich dem ästhetischen Diktat der Avantgarde nicht unterordnen wollte und melodienreich, klangsinnlich, opernhaft, ja sogar hier und da tonal komponierte. Der Kritiker Hans Heinz Stuckenschmidt glaubte in Henze gar einen neuen Richard Strauss zu hören. Diese Neoklassizismus-Zuschreibung verstörte Henze so sehr, dass er nicht müde wurde, den politischen Inhalt des Stücks zu betonen, nämlich die Frage, was Repression, Revolte und Revolution bedeuten und dies in den Zusammenhang mit den Themen der 68er-Jahre stellte. In dem Stück nach den „Bakchen“ des Euripides verfallen die Einwohner Thebens zusehends dem Dionysos-Kult und kehren dem asketischen Monotheismus, den der neue König Pentheus predigt, den Rücken. Am Ende wird Pentheus von seiner eigenen Mutter in Ekstase förmlich geschlachtet.

In der neuen Salzburger Produktion unter dem Dirigenten Kent Nagano und dem polnischen Regisseur Krzysztof Warlikowski steht das Politische am Rande. Da tritt Dionysos in Gestalt des amerikanischen Sängers Sean Panikkar auf, bei dem man wegen seiner Wurzeln in Sri Lanka und in seinem indischen Kostümgewand gleich an einen Bagwhan-Jünger denkt. Er singt die anspruchsvolle Tenorpartie in eindringlich bezwingender Weise und behauptet fortwährend er sei ein Gott. Seine Mission ist die Gründung einer Sekte, die öffentliche orgiastische Sexualität praktiziert und die Teilnehmer in Zustände permanenten Delirierens führt, was Warlikowski, an den verschiedenen Schauplätzen der breiten Bühne in der Salzburger Felsenreitschule in möglichster Ausführlichkeit zeigt. Dieser Dionysos übernimmt tatsächlich die Herrschaft, denn er streift sich den roten Anorak von Pentheus über, der wohl eine Art Königsgewand darstellen soll. Sean Pannikar führt uns diesen Dionysos dann als einen, an dem was er anrichtet, desinteressierten Manipulator vor, der eigentlich nur hören will, dass er wirklich ein Gott ist. Insofern kommt hinterrücks doch etwas Politik hinein nach dem Motto, dass Populismus gleich welcher Couleur die Menschen willenlos macht.

Der letzte vierte Satz (Henzes Oper ist wie eine Symphonie in Sätze gegliedert) schlägt einen anderen Ton an. Er ist angelegt wie ein großformatiges Requiem auf den getöteten Pentheus inklusive eines Bach-Zitats. Hier findet eine rückwärts laufende Bewusstwerdung von Pentheus‘ Mutter Agaue statt, zu der sie durch einen Wechselgesang mit dem alten König Kadmos findet, der unablässig auf sie einsingt, bis sie wieder klarsichtig wird und ihren grausamen Mord erkennt. Tanja Ariana Baumgartner und Willard White stehen dabei ohne äußere Bewegung an einem Metzgertisch, auf dem der zerstückelte Körper von Pentheus in Plastiktüten liegt, während um sie herum die Menschen taumeln und weiter Dionysos huldigen.

Hans Werner Henze, "Die Bassariden" bei den Salzburger Festspielen

Russell Braun als Pentheus in Frauenkleidern und Sean Panikkar als Dionysos sowie die Tänzerin Rosalba Guerrero Torres

Dieses Nebeneinander zwischen Aufklärungsimpuls und Entgrenzung durchzieht das ganze Stück und wird von Henze durch Instrumentation und Tonsatz ausgebildet. Russel Braun verkörpert zuvor den Pentheus selbst als Schwankenden. Er poltert weder mit der Strenge eines Königs, und selbst in Frauenkleider findet er nicht wie die anderen zur Trance. Kent Nagano hat den Doppelcharakter der Musik klar entfaltet und damit dem Komponisten, der sich seinerzeit so missverstanden fühlte, auch ein Stück Gerechtigkeit widerfahren lassen.

In Salzburg wird das Stück in der englischen Originalversion gegeben, inklusive des gesprochenen Prologs und inklusive des retardierenden, etwas langatmigen und oft weg gelassenen Intermezzos, in dem Pentheus sich seiner sexuellen Neigungen bewusst wird und Warlikowski Pasolinis „120 Tage von Sodom“ zitiert.

Premiere: 16.08.2018, noch bis zum 26.08.2018

Besetzung:

Dionysus: Sean Panikkar
Pentheus: Russell Braun
Cadmus: Willard White
Tiresias / Calliope: Nikolai Schukoff
Captain / Adonis: Károly Szemerédy
Agave / Venus: Tanja Ariane Baumgartner
Autonoe / Proserpine: Vera-Lotte Böcker
Beroe: Anna Maria Dur
Tänzerin und Choreografin (Solo: Rosalba Guerrero Torres

Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Wiener Philharmoniker

Musikalische Leitung: Kent Nagano
Choreinstudierung: Huw Rhys James
Regie: Krzysztof Warlikowski
Bühne und Kostüme: Małgorzata Szczęśniak
Licht: Felice Ross
Viedeo: Denis Guéguin
Choreografie: Claude Bardouil
Dramaturgie: Christian Longchamp