20.02.2020 – Händel, "Tolomeo" in Karlsruhe

Stand: 20.02.2020, 12:25 Uhr

Die Karlsruher Händelfestspiele boten dieses Jahr mit "Tolomeo" eine der am seltensten aufgeführten Opern von Händel. Das liegt nicht am Plot, der auch nicht komplizierter ist als in einer der anderen Opern: Der Titelheld ist als ägyptischer König von seiner Mutter vertrieben worden und auf der Insel Zypern gelandet. Dort trauert er nicht um nur Machtverlust, sondern vor allem um seine Geliebte Seleuce, die in Wirklichkeit längst auf der Insel eingetroffen ist. Bruder Alessandro ist auch dort und will Tolomeo wieder in sein Herrscherrecht setzen. Araspe, der grausame König von Zypern, liebt Seleuce, Alessandro dessen Schwester Elisa und die wiederum Tolomeo.

Anders als etwa in "Alcina" oder "Serse" hat Händel hier über zweieinhalb Stunden eine durchweg larmoyante Musik geschrieben ohne Ohrwürmer und Wiedererkennungseffekte. Einzig Araspe donnert ein- oder zweimal seine Wut heraus. Morgan Pearse tut dies mit seiner kraftvollen, beweglichen und fokussierten Baritonstimme.

Die Oper "Tolomeo" ist trotz aller Intrigen eher ein Naturstück und ein Traumstück. Die Stimmung ist fast so wie in Debussys "Pelléas et Mélisande" nur eben mit Generalbass. Die Eifersüchteleien und Verzweiflungen sind in metaphorische Bilder gekleidet: wie ein Fels bleibt Tolomeo standhaft, die Lüfte seufzen mit Elisa, Seleuce sucht ihren Mann hinter jedem Baum, und Alessandros Seele findet keinen Frieden. Die Menschen auf der Bühne sinnieren, sind im Delirium oder schlafen. Aber sie handeln nicht.

Der Regisseur Benjamin Lazar versammelt sie meist alle zusammen auf der Bühne, im Salon eines Strandhotels. Er hat wie im barocken Gestentheater mit den Figuren ein Repertoire an Positionen, Arm- und Körperstellungen erarbeitet, die tatsächlich der Musik zu entsprechen scheinen. Dazu bewegen sie sich im Zeitlupentempo. Durch die Fenster des Salons sieht man in geschmackvollen Videoprojektionen das Meer, mal leicht gekräuselt, später in höherem Wellengang, bis es zur Überflutung kommt und außen sich ein Unterwasserwald auftut.

Das ist ambitioniert, klug ersonnen, aber auch ein bisschen langweilig, denn die Bewegungen der fünf Darsteller wirken einstudiert und meist ungelenkig. Gesungen und musiziert wird dagegen auf höchstem Niveau. Federico Maria Sardelli am Pult der Deutschen Händel-Solisten hat einen untrüglichen Sinn für das Timing, das Tempo und die Transparenz des Klangs. Louise Kemény als Seleuce und Eléonore Pancrazi als Elisa schlüpfen in Rollen der konkurrierenden Sopranstars bei der Uraufführung, Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni, und überbieten sich regelrecht in ihrem Wettstreit, die besten Naturmetaphern zu versinnlichen. Das tun beide in nobler Gesangskultur und nicht im Primadonnengehabe.

Der arme Alessandro hat eine etwas undankbare Rolle, weil er nicht richtig zum Zug kommt, nur einmal darf seinem inneren Widerstreit zwischen seiner Liebe zu Elisa, die ihn zum Mord an Tolomeo anstachelt und seinem Pflichtgefühl Ausdruck verleihen. Meili Li singt zurückhaltend in einem für einen Countertenor ungewöhnlich warmem Timbre.

Jakub Józef Orliński als Tolomeo in Händels gleichnamiger Oper

Jakub Józef Orliński

Jakub Jósef Orliński kann aus der Titelrolle mehr machen, denn das einzige Highlight der Oper, die Arie "Stille amare", gehört ihm. Die singt er, nachdem er den Giftbecher getrunken hat, der sich hinterher als Schlaftrunk erweist. Der noch nicht einmal 30jährige Orliński ist schon heute ein Meister des barocken Ausdrucksgesangs, in den Rezitativen wie in den Arien. Er kann einen einzigen Ton an- und abschwellen lassen, er vermittelt Empörung in präzisen Stimmsprüngen, geht im Marcato exakt mit dem Orchester und kann in der Echoarie sehnsuchtsvoll, hintersinnig mit seiner Geliebten Seleuce kokettieren. Er ist der Shootingstar der Counter-Szene und dabei agiler Darsteller mit einer Breakdance-Vergangenheit.

Premiere: 14.02.2020, besuchte Vorstellung: 19.02.2020

Besetzung:
Tolomeo: Jakub Józef Orliński
Seleuce: Louise Kemény
Elisa: Eléonore Pancrazi
Alessandro: Meili Li
Araspe: Morgan Pearse

Deutsche Händel-Solisten

Musikalische Leitung: Federico Maria Sardelli
Regie: Benjamin Lazar
Regiemitarbeit: Elizabeth Calleo
Bühne: Adeline Caron
Kostüme: Alain Blanchot
Video: Yann Chapotel
Maskenbild: Mathilde Benmoussa
Licht: Mael Iger
Dramaturgie: Deborah Maier