George Enescus Oper „Oedipe“ bei den Salzburger Festspielen, Regie und Ausstattung: Achim Freyer

12.08.2019 – George Enescu, „Oedipe“ bei den Salzburger Festspielen 2019

Stand: 12.08.2019, 13:50 Uhr

Es sind wieder die puppenhaften, maskierten, mit skurrilen Kostümen behängten Figuren, die auf einer schwarzen, mit Kreidestrichen bemalten Bühne platziert werden und, wie von einem Maschinisten gesteuert, meist zeitlupenartig bewegt werden. Dazu die Bogenöffnungen der Felsenreitschule, die wie die Felder eines riesigen Setzkastens genutzt werden. Bühne, Kostüme, Bewegung alles stammt vom Altmeister Achim Freyer, der eine grandiose bildnerische Installation zum Ödipus-Thema geschaffen hat, voller Symbole und Attribute.

Der blinde Seher Teiresias ist übergroß und spindeldürr, mit weißer, schwarzgepunkteter Kutte. Er wird von einem kleinen Kind, genauso wie es im Libretto steht, geführt. Der Hirte ist schwarz und sitzt rechts oben in einem Fenster mit zwei Leuchtstäben, darüber ein Bock mit Aulos. Iokaste ist eine blaue Blume, der Oberpriester im mittleren Fenster eine grüne Erscheinung mit rotem Strich, daneben Kreon grellrot mit Fratzenmaske. Alles ist verrätselt und konkret zugleich. Das alles sind keine Personen, sondern Funktionsträger in Achim Freyers abstraktem Ballett.

Nur der Chor, das Volk von Theben verkörpernd, wirkt bedrohlich, weil man ihn zunächst nur hört und ihn irgendwo auf der schwarzen Bühne vermutet. Erst im zweiten Akt wird er sichtbar, als schwarze Gestalten, die sich wie Ungeziefer verbreiten.

Inmitten dieses Panoptikums erleben wir den wohl merkwürdigsten Ödipus, den man je auf einer Bühne gesehen hat. Erzählt wird ja in Enescus Oper das Leben des gebrochenen Helden von der Geburt bis zu seinem verklärenden Tod bei den Eumeniden. Da liegt am Anfang ein hässliches, sich windendes Riesenbaby auf der Bühne, fast noch embryonal. Aus ihm schlüpft ein unförmiger Boxer mit grotesken Muskelpaketen und dem Klumpfuß, von dem Ödipus seinen Namen hat. Er ist die einzige Gestalt mit Gesicht, Christopher Maltman verkörpert ihn in einer darstellerisch und sängerisch großartigen Weise. Erst als er sich die Augen aussticht und roten Fäden wie Kordeln von seinem Kopf hängen, wird auch er sein Gesicht verlieren.

Die Szene vorher, als er unbeabsichtigt seinen unerkannten Vater Laios am Dreischeideweg umbringt, ist für Achim Freyer ein Kampf mit vom Bühnenhimmel heruntergelassenen Boxsäcken, die wie schwarze Beulen aussehen. Eine von humoristische Volte wie auch die Riesenheuschrecke oder der aufblasbare Wurm, der sich zu einer Schere formt bei der Szene mit der Sphinx. Sicher lässt sich das bei Freyer alles entschlüsseln, denn bei aller Bildmächtigkeit ist er ein überaus skrupulöser und geradezu intellektuell agierender Deuter seiner Stoffe.

In Salzburg wird die Oper in voller Länge gespielt, inklusive des christologisch deutbaren vierten Akts, in dem Ödipus in die Ewigkeit eingeht. Hans Neuenfels hatte diesen Schluss vor einigen Jahren in Frankfurt wegen mangelnder Dramatik einfach weggelassen. Der Dirigent Ingo Metzmacher zeigte, dass diese ganze andere, friedlich hymnische Musik zwingend dazu gehört, um die Balance des Ganzen zu wahren. Auch im Klanglichen ist Metzmacher ein Meister der Balance. Der rezitierende, fast sprechtheatermäßige Ton in den Vokalpartien schält sich über dem Orchester heraus, das mal in Wagnerische Prägnanz, mal in Debussyartiger Beiläufigkeit eine Art von unaufgeregtem Musikstrom bildet. Wenn es aber darauf ankommt, lässt Metzmacher das Orchester aufdröhnen, aber immer nur für den Augenblick und hat zudem ein Ohr für die instrumentalen Feinheiten: Altsaxofon-Linien, Peitschenknalle, oder die singende Säge beim Ödipus Sieg über die Sphinx. Metzmacher stellt Enescus kompositorische Extravaganzen, der 10 Jahre lang an der Instrumentation seiner einzigen Oper gearbeitet hatte, genauso heraus, wie er dessen über weite Strecken verhaltene, pastellene und sprachdienliche Einfärbung des Geschehens trifft.

Premiere: 11.08.2019

Besetzung:
Ödipus: Christopher Maltman
Teiresias: John Tomlinson
Kreon: Brian Mulligan
Der Hirte: Vincent Ordonneau
Der Hohepriester: David Steffens
Phorbas: Gordon Bintner
Der Wächter: Tilmann Rönnebeck
Theseus: Boris Pinkhasovich
Laios: Michael Colvin
Iokaste: Anaïk Morel
Die Sphinx: Ève-Maud Hubeaux
Antigone: Chiara Skerath
Merope: Anna Maria Dur
Ödipus als Baby: Katha Platz

Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor
Wiener Philharmoniker

Musikalische Leitung: Ingo Metzmacher
Inszenierung, Bühne, Kostüme: Achim Freyer
Licht: Franz Tscheck
Video: Benjamin Jantzen
Dramaturgie: Klaus-Peter Kehr