Mark Morouse als Marx, in „Marx in London“ von Jonathan Dove an der Oper Bonn

13.12.2018 – Jonathan Dove, „Marx in London“ in Bonn

Stand: 13.12.2018, 13:50 Uhr

Unter den Opern unserer Zeit gibt es viel zu wenige aus dem komischen Genre. Antikendrama, Alltagsdrama, Literaturopern, Geschichtsopern, all das wird gerne geschrieben und uraufgeführt. Deswegen ist es verdienstvoll, dass das Theater Bonn explizit eine komische Oper bestellt hat: „Marx in London“. Verantwortlich sind der Regisseur Jürgen R. Weber, der das Szenario erfunden hat, der Komponist Jonathan Dove und der Librettist Charles Hart.

Was soll aber an dem Londoner Aufenthalt des Philosophen Karl Marx – heute im Jahr seines 200. Geburtstages – komisch sein? Große Denker in Alltagssituationen zu erleben, ist immer irgendwie skurril und ganz besonders wenn man den wirkmächtigsten Analytiker des Wirtschaftslebens im 19. Jahrhundert selbst als wirtschaftlichen Trottel erlebt. Denn das ist die Antriebsfeder dieser Oper. Marx singt „Proletarier aller Länder…“, dabei räumen die Arbeiter seinen gepfändeten Hausstand zusammen. Später wird es sogar einmal richtig philosophisch. Marx gewinnt eine Preisrede gegen den italienischen Anarchisten Melanzane, verprasst das Geld aber sofort in einer Lokalrunde. Diese Szene ist auch durchaus komisch komponiert. Jonghoon You gibt einen präpotenten Italiener, stößt in raumgreifenden Koloraturen zu Posaunentönen aber nur einzelne revolutionäre Schlagwörter heraus, während Marx in Person von Mark Morouse in einer langen Argumentation zu stumpfen Orchesterschlägen in einer zunehmenden Intensität eine regelrechte Theorie von der versklavenden Wirkung des Kapital aussingt. Später erklärt dann sein Freund Friedrich Engels, der ihm ständig aus der Patsche hilft, in der eleganten Tenorstimme von Johannes Mertens, den Segen des Kapitals. So kalauert das Libretto, nicht ohne Witz zwei Stunden lang.

Zu den handelnden Personen gehört auch Marx‘ Frau Jenny, die Yannick-Muriel Noah als furchteinflößende Furie singt. Dann gibt es noch Freddy, der, was vorerst niemand weiß, uneheliche Sohn von Marx, bis sich die Haushälterin Helene in der sonoren versöhnlichen Altstimme von Ceri Williams als Mutter zu erkennen gibt. Christian Georg gibt den Freddy mit gestelztem Tenorpathos, ein Medaillon in der Hand führend, das ihm den Weg zu seinen Eltern weist. Immer wenn von diesem Medaillon die Rede ist, notiert Jonathan Dove plakative Harfen- und Celestaklänge. An anderer Stelle hört man weitausgreifende Trompeten-gestützte Hymnen, wenn Marx und Engels in einem Freundschaftsduett ihre Mission beschwören. Und dann wäre da noch Marx‘ Tochter Tussy, die mit eindrucksvollen Koloraturzwitschertönen, die Marie Heeschen wie in die Kehle gesetzt sind, mit ihrem Halbbruder anbändelt.

Das ist alles mit eleganter Feder und immer ein wenig augenzwinkernd hingeschrieben, vielleicht auch ohne Scheu vor Musical-Plattitüden. Denn das ist der Stil von Jonathan Dove: eine nicht unoriginelle Mischung aus Andrew Lloyd Webber und dem Minimalismus von Philip Glass, die der Dirigent David Parry mit leichter Hand zubereitete. „Marx in London“ ist bereits Doves 29. Oper. Einige davon kamen ins Fernsehen, andere wie „Pinocchios Abenteuer“ werden häufig nachgespielt.

Jürgen R. Weber und der Ausstatter Hank Irwin Kittel kreierten eine flotte Komödie in einem stilisierten Industrieambiente des 19. Jahrhunderts. Die Personen und die Requisiten wurden auf Eisenbahnfahrgestellen hin- und hergefahren, so dass sich der Eindruck einer Nummernkomödie mit Musicaltheatermechanik einstellte.

Ja, und Mark Morouse verkörperte vom Aussehen her einen veritablen Karl Marx. Aber keinen Marx, wie er nicht im Buche steht, sondern mit warmem Bariton einen larmoyanten, spendablen, ungeschickten und träumerischen Philosophen, dem erst im bukolischen Schlussbild Hammer und Sichel über das Haupt gehalten werden.

Uraufführung: 09.12.2018, besuchte Vorstellung: 12.12.2018, noch bis zum 14.02.2019

Besetzung:
Marx: Mark Morouse
Jenny: Yannick-Muriel Noah
Tussy: Marie Heeschen
Freddy: Christian Georg
Helene: Ceri Williams
Engels: Johannes Mertes
Melanzane: Jonghoon You
u.a

Chor des Theater Bonn: 
Beethoven Orchester Bonn: 

Musikalische Leitung: David Parry
Choreinstudierung: Marco Medved
Regie: Jürgen R. Weber
Bühne und Kostüme: Hank Irwin Kittel
Licht: Friedel Grass
Dramaturgie: Andreas K. W. Meyer