09.01.2023 - Die Oper ist tot – Es lebe die Oper! in der Bundeskunsthalle Bonn
Stand: 09.01.2023, 09:30 Uhr
Wer nur so eben oder immer mal wieder sich für die Oper interessiert, sollte in die Ausstellung „Die "Oper ist tot – Es lebe die Oper!" in die Bonner Bundeskunsthalle gehen. Da wird sich vieles sortieren: von den Florentiner Intermedien bis Puccinis "Turandot", vom Kastraten Farinelli bis zum Tenorstar Caruso, von der Wiener Staatsoper bis zur New Yorker Met. In kurzen Filmsequenzen erklären Opernschaffende, warum ihre Gattung lebt, und in einem 27min-Feature erfährt man, dass in Deutschland – nicht in Italien - die größte Operndichte weltweit herrscht.
Und es gibt natürlich schöne Musikausschnitte. Die übersichtliche Ausstellung macht Lust auf den nächsten Opernbesuch, sei es in NRW um die Ecke (es gibt hier 13 Opernhäuser), sei es während der nächsten Urlaubsreise mit einem Besuch in der Mailänder Scala. Alles, was zu sehen ist, ist wissenschaftlich richtig eingeordnet, wenn auch nicht wie etwa in Michael Walters verdienstvollem Buch "Oper. Geschichte einer Institution" von 2016 erschöpfend behandelt, bis auf ein echtes Manko: Man findet nichts über die Oper des 20. und 21. Jahrhunderts, obwohl die Ausstellung heißt "… es lebe die Oper!"
Rogelio de Egusquiza y Barrena: Parsifal, 1903, Öl auf Leinwand, Museo Nacional del Prado, Madrid
Wenn auch dem Opernkenner keine neuen Fakten, so vermittelt die Ausstellung fast beiläufig einen ansonsten unterbelichteten Aspekt von Bildender Kunst: Das Malen über Oper. Gemeint ist nicht die Bühnenmalerei, sondern die Auseinandersetzung Bildender Künstler mit der Oper oder ihren Stoffen und Personen.
Jacopo Amigoni: Carlo Broschi, gen. Farinelli, um 1734/35, Öl auf Leinwand, Bukarest, Staatliches Kunstmuseum
Da steht man plötzlich vor einem riesigen, fast drei Meter hohen Porträt des Kastratenstars Farinelli, über dessen Haupt die Göttin Fama schwebt. Das Gemälde von Jacopo Amigoni von 1734/5 hat Altarbilddimensionen oder wirkt wie ein Herrscherporträt. Farinelli war wohl tatsächlich so etwas wie ein Herrscher über die Empfindungen, die die Menschen verzückten.
Francesco Battaglioli: Szene aus "Didone abbandonata", um 1756, Öl auf Leinwand, Real Academia de Bellas Artes de San Fernando, Madrid
Und er selbst gab "echte" Gemälde in Auftrag, in denen Szenen aus den Libretti seines Freundes Metastasio zu malerischem Leben erweckt werden. Die 5. Szene aus dem 1. Akt aus "Didone Abbandonata", in der Didone den um sie werbenden König Jarba empfängt, ist hier von Francesco Battaglioli in Form eines überbordenden Genregemäldes dargestellt, Prunk und Repräsentation assoziierend.
Noch interessanter sind aber die Auseinandersetzungen von Künstlern des 19. Jahrhunderts mit Richard Wagner. Der Malerfürst Hans Makart schuf 1883 einen achtteiligen Bilderzyklus zum "Ring des Nibelungen", in denen eine düstere, gewaltige Dynamik in kräftigen hell-dunkel Kontrasten sich ausbreitet. Makart und Wagner kannten sich persönlich, und es wurde erwogen, dass er Bühnenbilder für Bayreuth schafft. Dass ein renommierter Maler sich in Bayreuth betätigt, hat es übrigens erstmals 2018 mit Neo Rauch und seinen Arbeiten zu "Lohengrin" gegeben.
Makart: Der Zwerg Alberich und die Rheintöchter, 1883, Öl auf Leinwand, Riga, Vestures un Kugniecibas Muzejs
In eine ganz andere Richtung geht die "Parsifal"-Interpretation von Rogelio de Egusquiza y Barrena von 1903. Aus heutiger Sicht vielleicht kitschig, blickt in dem lebensgroßen Bild ein muskulöser Jüngling halb in den Himmel, mit leicht schmerzvollem Ausdruck. Wer je einem Gespräch zwischen Regisseur und Darsteller gelauscht hat, wird hier intuitiv fast eine bildnerisch sprechende Szenenanweisung wahrnehmen.
Leopoldo Metlicovitz. Giuseppe Verdi, 1900, Öl auf Leinwand, Archivo Storico Ricordi, Mailand
Aber auch die Komponistenporträts in der Ausstellung werfen einen Blick auf das Genre. Das kleine Ganzkörperporträt von Verdi, gemalt von Leopoldo Metlicovitz, ist zwar bekannt, aber wenn man unmittelbar davorsteht, lächelt der Komponist verschmitzt an einem vorbeiblickend in selbstzufriedener und selbstgewisser Weise. So muss man sich wohl einen Star des 19. Jahrhunderts vorstellen, der das Understatement pflegte.
Die Kostüme zeigen sich in der Ausstellung als Kunstgattung sui generis. Da sieht man ein gewaltiges von Chou Ling geschneidertes Turandot-Kostüm mit einer vielleicht sieben Meter langen Schleppe, das Birgit Nilsson 1961 an der Wiener Staatsoper trug.
Turandot-Kostüm von Chou Ling 1961, Wiener Staatsoper
Oder das Brokat besetzte Radames-Kostüm für den Tenor Leo Slezak aus dem Jahr 1902. Wenn man dicht vor diesen Gewändern steht, wirken sie überwältigend in ihrer aufwändigen Kunstfertigkeit. Aber sie müssen wohl auch aus ganz praktischen Gründen so opulent gestaltet sein, will man an der Wiener Staatsoper auch in den oberen Rängen etwas davon wahrnehmen. In der Nähe verwandeln sich die Gewänder vor den Augen des Ausstellungsbesuchers und gewinnen ein Eigenleben, als wären sie eigens gestaltete Torso Skulpturen.
Radames-Kostüm für den Tenor Leo Slezak aus dem Jahr 1902, Wiener Staatsoper
Es geht aber auch ganz schlicht, etwa die Miniatur von Bernardo Buontalenti aus dem Jahr 1589, eine Radierung, auf der ein Kostümentwurf für den Sänger Orpheus dargestellt ist, der auf dem Kopf als Barett eine Viola da braccio trägt und in den Händen lässig einen Violone, gekleidet in ein hochgeschlossenes Gewand mit doppeltem Kragen, melancholisch dreinblickend.
Bernardo Buontalenti: Kostümentwurf für Orpheus, 1589, Radierung, Biblioteca Nazionale centrale, Florenz
Oper ist ein Gesamtkunstwerk, was man schon immer wusste. Aber die Ausstellung lenkt den Blick auch auf etwas, was sich von diesem Gesamtkunstwerk in gewisser Weise entfernt und ein Eigenleben führt.
Bundeskunsthalle Bonn, noch bis zum 05.02.2023