17.08.2024 – Jacques Offenbach, „Les Contes d’Hoffmann“ bei den Salzburger Festspielen

Stand: 17.08.2024, 09:30 Uhr

Die Idee, bei der neuen Salzburger Produktion von „Hoffmanns Erzählungen“ alle vier Frauenfiguren, Stella, Olympia, Antonia und Giulietta, der unvergleichlichen Kathryn Lewek anzuvertrauen, als auch die vier bösen Männerfiguren Lindorf, Coppélius, Dr. Miracle und Dapertutto dem Bassbariton Christian Van Horn, hat sich als goldrichtig erwiesen, denn so bildeten die beiden zusammen mit Benjamin Bernheim als Hoffmann und Kate Lindsey als Muse bzw. Nicklausse ein Solistenquartett das die Aufführung auf höchstem Niveau bis zum Schlussquartett: „Man wird groß durch die Liebe und noch größer durch die Tränen!“ trug.

In dieser sanften, berührenden Nummer gelang es auch Marc Minkowksi, der in Salzburg zum ersten Mal die Wiener Philharmoniker dirigierte, ein schönes Einvernehmen zwischen dem Geschehen oben und im Graben herzustellen, wie übrigens bei den meisten Piano-Stellen. In den turbulenten Szenen, von denen es in „Hoffmanns Erzählungen“ ja viele gibt, etwa das Trinkgelage der Studenten am Anfang, fehlte es dagegen oft an Präzision und Zusammenhalt.

Umso mehr konnte man sich z. B. an der Romanze über die Seele einer Geige im „Antonia“-Akt freuen, die Kate Lindsey mit geradezu philosophischer Inbrunst vortrug, während sie im „Olympia“-Akt in ihrer Cabaletta mit komödiantischen Talent den schwärmerischen Hoffmann mit Hintersinn verhöhnt.

Dieser Hoffmann wird von Benjamin Bernheim mit allen Facetten, die einem lyrischer Tenor mit dramatischem Einschlag zu Gebote stehen, verkörpert vom ersten schon pathetischen Auftritt, als er die Dramaturgie des Stücks erklärt: „Drei Frauen in derselben Frau“ bis zu seiner Romanze, in der er Giulietta (wiederum im Piano) in einer großen Kantilene anbetet, bevor sie ihm die Seele raubt auf Weisung des Drahtziehers Dapertutto, der hier als veritabler Mephisto auftritt, in dieser Verkleidung auch vorher schon als Dr. Miracle.

Christian Van Horn wertete diese Rolle auf, machte aus dem Quacksalber einen Gewissensforscher, der bei Antonia künstlerischen Ehrgeiz anstachelt, anstatt sie in den Tod zu treiben. Sein Bariton kann zwar dröhnend bedrohlich klingen, zugleich aber auch in einer kultivierten Reflektiertheit. Den Infarkt übrigens erleidet am Ende des Antonia-Aktes nicht sie sondern Hoffmann.

Wo immer Kathryn Lewek zu singen begann, ob mit den Olympia-Koloraturen, ob in der Turteltäubchen-Romanze als Antonia und noch viel mehr im Amor-Lied des Giulietta-Aktes, hörte man ein makelloses, glockenreines Timbre, das zugleich Wärme und Emotion ausstrahlte, was sich ganz schwer beschreiben lässt, weil es so unverwechselbar besonders klang: Mal fast instrumental, dann wieder wie ein warmer Quell oder auch deklamatorisch präzise. Jedenfalls ist sie die ideale Sängerin, um alle vier Rollen auszufüllen.

Kathryn Lewek (Olympia), in: „Les Contes d’Hoffmann“ bei den Salzburger Festspielen 2024 | Bildquelle: SF/Monika Rittershaus

Bei all den Qualitäten dieses Sänger-Quartetts wurde die Inszenierung von Mariame Clément künstlerisch fast zur Nebensache, obwohl sie sich optisch massiv in den Vordergrund drängte. Die Idee bestand darin, dass Hoffman ein Filmregisseur ist, der schon bessere Zeiten gesehen hat und am Anfang seine Habseligkeiten (alte Kassetten und Filmrollen) wie ein Obdachloser in einem Einkaufswagen umherschiebt und dann seine größten Taten (nämlich die Dreharbeiten zu den drei Frauenfilmen) Revue passieren zu lassen, inkl. der Eifersüchteleien und Liebeleien am Set. Im Olympia-Akt war das noch einigermaßen lustig, wenn die Puppe als Barbarella erscheint oder als rotzfreches Mädchen. Spätestens aber im Antonia-Akt, wenn Hoffmann ständig hin und herwechselt zwischen pantomimisch agierendem Regisseur und echtem Liebhaber, scheitert dieses Konzept an seiner szenischen Erklärungsbedürftigkeit. Derart überfrachtete Dramaturgien taugen meist nicht für Opernhandlungen (noch dazu bei einem ohnedies schon komplexen Arrangement wie bei „Hoffmanns Erzählungen“). Das passierte letztes Jahr in Salzburg übrigens schon einmal bei „Falstaff“, den Christoph Marthaler ebenfalls an ein Filmset verlegte.

Premiere: 13.08.2024, besuchte Vorstellung: 16.08.2024, noch bis zum 30.08.2024

Besetzung:
Hofmann: Benjamin Bernheim
Stella / Olympia / Antonia / Giulietta: Kathryn Lewek
Lindorf / Coppélius / Dr. Miracle / Dapertutto: Christian Van Horn
Die Muse / Nicklausse: Kate Lindsey
Andrès / Cochenille / Frantz / Pitichinaccio: Marc Mauillon
Die Stimme der Mutter: Géraldine Chauvet
Spalanzani: Michael Laurenz
Crespel / Meister Luther: Jérôme Varnier
Hermann / Peter Schlémil: Philippe-Nicolas Martin
Nathanaël: Paco Garcia
Wilhelm: Yevheniy Kapitula

Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Wiener Philharmoniker

Musikalische Leitung: Marc Minkowski
Regie: Mariame Clément
Bühne und Kostüme: Julia Hansen
Licht: Paule Constable
Video: Étienne Guiol
Choreografie: Gail Skrela
Dramaturgie: Christian Arseni
Alan Woodbridge Choreinstudierung