26.07.2024 – Richard Wagner, "Tristan und Isolde" bei den Bayreuther Festspielen

Stand: 30.07.2024, 09:30 Uhr

An was sterben Tristan und später Isolde in Wagners Opern in der Neuinszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson bei den Bayreuther Festspielen? Jedenfalls ficht Tristan keinen Kampf mit dem Verräter Melot aus, er klappt einfach zusammen. Vielleicht hatte er doch von jenem Trank genommen, der normalerweise der Liebestrank ist, den Tristan und Isolde im 1. Aufzug aber nicht schlürfen.

Dann müsste es ja doch der Todestrank sein und Brangäne, die von Christa Mayer an diesem Abend volltönend gesungen wurde, hätte nicht, wie es normalerweise der Fall ist, die Fläschchen absichtlich verwechselt.

Das bleibt unklar, ist vielleicht auch nur eine Nebensache, denn der Regisseur hat bekundet, dass es ihm um die Vorgeschichte geht, nämlich um den Moment, von dem Isolde im 1. Aufzug berichtet: "Er sah mir in die Augen." Da konnte sie das Schwert nicht gegen ihn führen, mit dem sie ihren Verlobten Morold rächen wollte. Diese Situation deutet Arnarsson als einen blitzartigen Erkenntnismoment, in dem beide die Rollenmuster, in denen sie durch gesellschaftlichen Druck gefangen sind, abstreifen nach der psychologischen Formel: "Ich spüre, wer ich wirklich bin."

Die Oper "Tristan und Isolde" sieht der Regisseur dann als eine Bewegung der beiden Protagonisten, diesen Moment in der Vergangenheit wiederherzustellen. Soweit die dramaturgische Idee. Aber in der Aufführung sieht man davon nichts, weil eine Personenregie quasi nicht stattfindet oder nur in der Mimik, die man von Reihe 27 aus nicht erkennt. Klar ist jedenfalls, dass Tristan und Isolde kein Liebespaar sind, es gibt keine Anziehungskraft zwischen beiden, nur hier und da ganz schüchterne Zeichen einer Sympathie vielleicht. Jeder sucht sich selbst ohne den anderen (Und deswegen vielleicht auch kein Liebestrank).

Dabei war das erste, was man auf der Bühne sieht, nämlich das von Sibylle Wallum geschaffene Kostüm von Isolde noch eindrucksvoll. Isolde entpuppt sich förmlich aus einer gekräuselten weißen Fläche auf dem Bühnenboden wie ein Insekt und steht dann mit einem überdimensionierten Brautkleid da, das mit schwarzen Schriftzügen bedruckt ist. Da wirkt sie wie in einem Kokon gefangen als ein an König Marke verschachertes Eheobjekt. Aber der Regisseur macht daraus nichts, auch nicht aus dem Bild des zweiten Aufzugs (Bühne: Vytautas Narbutas), eine Art Trödelladen, vielleicht auch der nach außen gekehrte Innenraum der Seele, der hier als Bauch eines Schiffs gestaltet ist und mit Gegenständen vollgestellt ist: Musikinstrumente, Statuetten, Möbel, Rohre, Gemälde, Uhren, Radios, so voll und so spärlich ausgeleuchtet (Licht: Sascha Zauner), dass man den in die Liebesnacht hereintretenden Tristan nicht entdeckt und wie in einem Wimmelbild suchen muss.

Tristan wird von Andreas Schager verkörpert, seit 2016 so etwas wie der universelle Bayreuther Heldentenor. Er singt in diesem Jahr auch noch Parsifal und hätte wohl gerne auch noch die beiden "Siegfriede" gesungen (das macht stattdessen Klaus Florian Vogt). Er hat eine unerschütterliche Kondition, aber es fehlt das Feinsinnige, die Zwischentöne. Im dritten Aufzug, der eine halbe Stunde quasi nur aus den Fieberfantasien Tristans besteht, ging es bei ihm immer hin und her zwischen schreienden Ausbrüchen und japsendem Stöhnen. Das mag zwar der Rolle sogar angemessen sein, klang aber nicht schön. Schön gesungen war allerdings "O sink hernieder, Nacht der Liebe" im 2. Aufzug im Duett mit Camilla Nylund im zarten, gut artikulierten Piano, während die mangelnde Textverständlichkeit ansonsten das große Problem bei Camilla Nylund war (Wie leider bei fast jeder dramatischen Sopranistin in dieser Partie). "Ich habe gedacht, ich lerne diesen Text nie", sagte Camilla Nylund zu der Partie einmal. Man hätte es nicht gemerkt.

Dafür hatte sie etwa bei "Tod uns beiden!" im 1. Aufzug ein ausdruckshaftes, volltönendes und auch schön klingendes Forte und konnte sich gut auf die Phrasierungsweise des von Semyon Bychkov geleiteten Festspielorchesters einlassen. Und der hatte eine Menge zu bieten schon im berühmten Vorspiel, das er sehr langsam, piano, zergliedert mit Generalpausen musizierte, aber trotzdem Fluss und innere Spannung erzeugte. Es klang wie der langsame Satz einer Bruckner-Symphonie. Auch später fand er zu einer Deutlichkeit in der Artikulation der Leitmotive, die man immer gut heraushören konnte, egal in welcher Orchesterstimme sie gerade angesiedelt waren. Namentlich im 3. Aufzug spielte ein geradezu kammermusikalisches Orchester mit dem darüber kraftstrotzenden Heldentenor Schager.

Günter Groissböck klang mit seinem dunklem Bass an diesem Abend leider etwas gaumig und Olafur Sigurdarson als Kurwenal allzu ungestüm.

Premiere: 25.07.2024 noch bis 26.08.2024

Besetzung:
Tristan: Andreas Schager
Marke: Günther Groissböck
Isolde: Camilla Nylund
Kurwenal: Olafur Sigurdarson
Melot: Birger Radde
Brangäne: Christa Mayer
Ein Hirt: Daniel Jenz
Ein Steuermann: Lawson Anderson
Junger Seemann: Matthew Newlin

Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele

Musikalische Leitung: Semyon Bychkov
Regie: Thorleifur Örn Arnarsson
Bühne: Vytautas Narbutas
Kostüm: Sibylle Wallum
Dramaturgie: Andri Hardmeier
Licht: Sascha Zauner
Chorleitung: Eberhard Friedrich