Johan Reuter (Wozzeck) und Falk Struckmann (Doktor) in: Alban Berg "Wozzeck" an der Opéra national de Paris

20.03.2022 - Alban Berg, „Wozzeck“ in Paris

Stand: 20.03.2022, 09:30 Uhr

Als William Kentridge 2017 seine Inszenierung von „Wozzeck“ bei den Salzburger Festspielen herausbrachte, wollte er die Schrecken des Ersten Weltkriegs hundert Jahre danach reflektieren. Er tat dies in einer beeindruckenden kinematografischen Installation, bei der nicht nur der Bühnenprosekt, sondern auch die aus Stegen, Verschlägen und Holzmobiliar bestehenden Aufbauten als Fläche dienten, auf der grobkörnige, der Stummfilmästhetik entlehnte Bilder von Schlachtfeldern, verletzten Menschen und rauchverhangenen Himmeln zu sehen sind. Bei der Wiederaufnahme an der Pariser Oper im März gewinnt diese Produktion eine neue Aktualität. Sie ist den Opfern des Ukraine-Kriegs gewidmet.

Und so ist man als Zuschauer nicht länger mehr in einer geschichtlichen Distanz. Die puppenartigen, verrenkten Bewegungen der Darsteller, die groteske Normalität und Selbstgefälligkeit von Figuren wie dem Hauptmann, dem Doktor oder dem Tambourmajor spiegeln sich im aktuellen Geschehen und führen zugleich dessen Absurdität vor Augen. Einzig der Soldat Wozzeck, eindringlich und verletzlich gesungen von Johan Reuter, erscheint in dieser Inszenierung als Mensch, der Regungen zeigt, selbst dann noch, wenn er Marie, die Mutter seines Kindes, ermordet. Eva-Maria Westbroek zeigt diese Figur allerdings ohne Zwischentöne. Ihr Bitten um Erbarmen am Beginn des dritten Akts ist kein Flehen, sondern ein Kreischen und ihr Schlaflied ein zu beiläufiger Sprechgesang. Das Kind ist hier als Marionette mit Gasmaske dargestellt, das von einer Sanitätsschwester in Rotkreuz-Montur geführt wird. Ständig überkreuzen und überlagern sich so die Projektionen und die lebendigen Figuren auf der Bühne und bewirken eine Steigerung des Brüchigen und Hinfälligen und der Irritation, um das Kentridge geht

Susanna Mälkki lässt Bergs Partitur dagegen wie eine symphonische Dichtung in kapellmeisterlicher Berechenbarkeit spielen und entfernt sich von Kentridges Ideen. Da glitzern im Orchester Sterne, wenn es auf der Bühne Nacht wird, da werden pompöse Trauermärsche angestimmt, da wird in der Wirtshauszene ein regelrechter Budenzauber veranstaltet. Und manchmal verliert sie dabei auch den Kontakt zu den Sängern auf der Bühne oder deckt sie gar zu, Das war seinerzeit bei der Salzburger Premiere mit Vladimir Jurowski noch ganz anders, der Bergs Musik in körperlicher Direktheit hinstellte, ihr tiefe Schrunden einritzte, Grelles und Fahles als solches gelten ließ und so dem Regisseur die Hand reichte.

Premiere: 10.03.2022, besuchte Vorstellung: 19.03.2022; noch bis zum 30.03.2022

Besetzung:
Wozzeck: Johan Reuter
Tambourmajor: John Daszak
Andres: Tansel Akzeybek
Hauptmann: Gerhard Siegel
Doktor: Falk Struckmann
Marie: Eva-Maria Westbroek
Margret: Marie-Andrée Bouchard-Lesieur
u.a.

Chor und Orchester der Opéra national de Paris
Maîtrise des Hauts-de-Seine
Kinderchor der Opéra national de Paris

Musikalische Leitung: Susanna Mälkki
Regie: William Kentridge
Co-Regie: Luc De Wit
Bühne: Sabine Theunissen
Kostüme: Greta Goiris
Videos: Catherine Meyburgh,
Licht: Urs Schönebaum
Video Operator: Kim Gunning,
Choreinstudierung: Ching-Lien Wu
Kinderchor: Gaël Darchen